Der Begriff Selbsthilfe ist teilweise negativ besetzt: „Man geht doch erst zu einer Selbsthilfegruppe, wenn man mit seinem Leben nicht mehr klarkommt, oder? Da sitzen alle im Stuhlkreis und sind traurig, oder nicht?”. Im Folgenden schauen wir uns den Begriff mal genauer an und hinterfragen diese Vorurteile. 

    Selbsthilfe fängt schon bei Tätigkeiten zur Bewältigung des alltäglichen Lebens an.1 Bei einer Schnittwunde klebt man sich selbst ein Pflaster auf und bei Fragen zur Linderung des Juckreizes bei einem Mückenstich informiert man sich im Internet. In diesem Fall spricht man von individueller Selbsthilfe. Wenn man mal nicht mehr weiter weiß, fragt man häufig Familienangehörige (Familienhilfe), Nachbar:innen oder Freund:innen. Diese haben breite Erfahrungswerte und können einem häufig weiterhelfen. Aber es gibt auch Menschen, die nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen können. Spätestens hier kommt eine soziale Gesellschaft ins Spiel und schließt die Lücke zur professionellen Hilfe. Es gibt verschiedene Formen der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. In Deutschland bietet die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen NAKOS eine Übersicht über verschiedenste Selbsthilfeangebote, führt wissenschaftliche Studien durch und vermittelt zu örtlichen Selbsthilfekontaktstellen. Sie beschreibt, dass sich bei der gemeinschaftlichen Selbsthilfe, im Gegensatz zur Individuellen, Menschen zusammenschließen und gegenseitig helfen, die vom gleichen Problem betroffen sind. 

    In einer Selbsthilfegruppe kommen Menschen selbstorganisiert, regelmäßig und vor allem freiwillig zusammen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Betroffenheit oder als Angehörige von Betroffenen. Über vertrauensvolle Gespräche und dem regelmäßigen Erfahrungs- und Informationsaustausch kann nachweislich eine persönliche Entwicklung von Betroffenen und eine Stärkung sozialer Netzwerke stattfinden. 2 Die Studienlage zu der Wirkung von Selbsthilfegruppen, ist aufgrund ihrer Vielfalt derzeit noch gering. 3 Dennoch konnte gezeigt werden, dass durch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen die subjektive Gesundheit und Lebensqualität und das eigene Selbstwertgefühl verbessert werden kann. Betroffene erlernen adäquate Bewältigungsstrategien und Studien geben erste Hinweise darauf, dass es zu einer Verbesserung verschiedener psychischer Erkrankungen kommen kann. 4 

    Der Austausch kann in regionalen Selbsthilfegruppen, in einer bundesweiten Vereinigung, aber auch digital über Webseiten oder Video-Treffen geschehen. Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung der digitale Selbsthilfe verstärkt, sodass es immer mehr virtuelle Gruppentreffen gibt. Das oben genannte Vorurteil des traurigen Stuhlkreises ist nicht zutreffend. Selbsthilfegruppen haben sich im Laufe der Zeit verändert, sodass sie sich an die Bedürfnisse ihrer Mitglieder anpassen. So gibt es Selbsthilfeaktivitäten in Parks, in Cafés oder in schön gestalteten Räumlichkeiten mit viel Raum für einen geselligen Austausch und gute Laune.  

    Laut der NAKOS nimmt jede:r zehnte Erwachsende im Laufe seines/ihres Lebens an einer Selbsthilfegruppe teil. Diese sind in Deutschland längst etabliert, leicht zugänglich, kostenlos und bieten Unterstützung bei der Bewältigung von Problemen und Krankheiten. Gerade aufgrund des hohen Anteils an Menschen, die eine oder mehrere belastende Kindheitserfahrung erlebt haben, besteht hier viel Potenzial für „Hilfe auf Gegenseitigkeit“. Durch den Kontakt und Austausch mit anderen, die Ähnliches erlebt haben, können Probleme auf einer anderen Ebene besprochen werden, Wissen ausgetauscht und die eigene Vergangenheit aufgearbeitet werden. 4 Die Gruppe führt zu mehr sozialer Interaktion, bietet Trost und Unterstützung, stärkt dadurch das Selbstvertrauen jedes und jeder Einzelnen. Alle Teilnehmenden können voneinander lernen, z. B. hinsichtlich ihrer Bewältigungsstrategien und sich selbst besser kennenlernen. Auf diese Weise fördert eine Selbsthilfegruppe die Ressourcen der einzelnen Mitglieder und macht Mut, neue Aktivitäten oder Verhaltensweisen auszuprobieren. Aufgrund der großen Überschneidungen mit den Eigenschaften, Strategien und Grundhaltungen für Resilienz bieten auch Selbsthilfegruppen resilienzstärkende Möglichkeiten. 5 

    Wenn das Problem größer ist und über das Wissen und die Unterstützungsmöglichkeiten der individuellen Selbsthilfe, der Familienhilfe und der gemeinschaftlichen Selbsthilfe hinaus geht, ist professionelle Hilfe notwendig. Selbsthilfeangebote sind jedoch einfacher zu wahr zu nehmen und können daher einen ersten Schritt darstellen und die Wartezeit auf einen Therapieplatz überbrücken. Auf dieser Webseite findest du allerlei Informationen zum Thema belastende Kindheitserfahrungen und Möglichkeiten der Selbsthilfe.  

    Damit lässt sich die Frage vom Anfang gut beantworten: Keiner muss mit seinem Problem allein bleiben. Individuelle Selbsthilfe betreiben wir täglich und Selbsthilfegruppen sind einfach zu erreichen, kostenlos und bieten eine Möglichkeit der Selbstentwicklung. Egal ob digital oder Vor-Ort: Selbsthilfe ist also eigentlich etwas für Jeden. Auch wenn die Hemmschwelle am Anfang manchmal groß ist, probiert es aus – denn es kann sich wirklich lohnen! 

     

     

    1. Bäcker, G., Naegele, G. & Bispinck, R. (2020). Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland. Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-06249-1_12, S. 1171[]
    2. Kofahl, C. (2018). Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland–Entwicklungen, Wirkungen, Perspektiven (SHILD). Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen: ZögU/Journal for Public and Nonprofit Services, 41(H. 1/2), 70-80.[]
    3. Nickel, S., Haack, M., von dem Knesebeck, O., Dierks, M. L., Seidel, G., Werner, S., & Kofahl, C. (2019). Teilnahme an Selbsthilfegruppen: wirkungen auf Selbstmanagement und Wissenserwerb. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 62(1), 10-16.[]
    4. Borgetto, B. (2007). Wirkungen und Nutzen von Selbsthilfegruppen. Public Health Forum, 15(2), 6-8. https://doi.org/10.1016/j.phf.2007.03.004[][]
    5. Keup, K. (2010). Resilienzentwicklung durch Selbsthilfe: Nutzen für die Gesundheitsentstehung. Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen eV (DAG SHG)(Hrsg.), Selbsthilfegruppenjahrbuch.[]