Belastende Kindheitserfahrungen (engl. ACEs: adverse childhood experiences) bezeichnen negative Erlebnisse in der Kindheit, die langfristige Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden haben können. In der wissenschaftlichen Literatur fallen unter diesen Begriff: 1

    • körperliche und/oder emotionale Vernachlässigung,
    • körperliche und/oder emotionale Misshandlung und sexueller Missbrauch.

    Zusätzlich gehören hierzu Probleme im Elternhaus, bei denen die Kinder:

    • Scheidung oder Trennung der Eltern erleben,
    • Zeuge häuslicher Gewalt werden,
    • Alkohol-/Drogenmissbrauch in der Familie oder
    • psychische Erkrankungen im Haushalt erleben oder
    • durch die Inhaftierung eines Familienmitglieds belastet sind.

    In einem breiteren, eher umgangssprachlichen Verständnis können auch negative Erfahrungen im Schulkontext (z. B. Mobbing) oder andere traumatische Erlebnisse im Kindesalter (z. B. im Kontext von Flucht) als belastende Kindheitserfahrungen beschrieben werden – die allerdings bislang nicht im Fokus unserer Vereinsarbeit liegen.

    Ungefähr die Hälfte der in Deutschland lebenden Erwachsenen berichtet über mindestens eine belastende Kindheitserfahrung. Fast jede:r Zehnte durchlebte vier oder mehr dieser Erfahrungen, wobei mit steigender Anzahl an Belastungen das Risiko körperlicher und psychischer Folgen im Erwachsenenalter erheblich steigt. 1

    Anhand aktueller Zahlen lässt sich abschätzen, dass es sich hierbei auch um ein zukünftig bedeutsames gesellschaftliches Problem handelt. Aufgrund der hohen Dunkelziffer, also der Anzahl nicht gemeldeter Fälle, ist es schwierig, die tatsächliche Häufigkeit von Kindeswohlgefährdungen zu bestimmen. Es wird geschätzt, dass in Deutschland etwa 10 bis 15 Prozent aller Kinder körperlich misshandelt werden, ungefähr 7 Prozent erfahren sexuellen Missbrauch. 2 In jedem fünften gemeldeten Fall lagen mehrere Arten der Kindeswohlgefährdung zugleich vor. 3

    Im Zuge der Corona-Pandemie kam es zu einer weiteren Zuspitzung der Problematik. Mit der familiären Isolierung als Folge der gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung von SARS- CoV-2 (unter anderem Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen) stieg das Risiko körperlicher, emotionaler und sexueller Gewalt gegen Partner:innen und Kindern. 4 Hinzu kommt, dass sich die Versorgungssituation psychisch Erkrankter im Pandemieverlauf verschlechtert hat, sodass viele Betroffene – sowohl Kinder/Jugendliche als auch Erwachsene – keine angemessene therapeutische Unterstützung erfahren. 5

    Es ist wichtig zu erwähnen, dass durch einen produktiven und positiven Umgang mit den eigenen Erlebnissen negative Folgen für sich selbst und das Umfeld, z. B. für die eigenen Kinder, verhindert werden können. Glücklicherweise werden einzelne belastende Erfahrungen, wie zum Beispiel die Scheidung der Eltern, zumeist gut verkraftet und die Betroffenen können gestärkt aus solchen Herausforderungen hervorgehen. 1

    Und: Es ist nie zu spät, sich mit den eigenen Erlebnissen auseinanderzusetzen und an einer besseren Zukunft für sich selbst und das eigene Umfeld zu arbeiten!

     

     

    1. Witt, A., Sachser, C., Plener, P.L., Brähler, E., & Fegert, J.M. (2019). Prävalenz und Folgen belastender Kindheitserlebnisse in der deutschen Bevölkerung. Deutsches Ärzteblatt, 116, 635–642.[][][]
    2. Job, A.-K. & Hahlweg, K. (2019). Elterntrainings zur Steigerung der Erziehungskompetenz. In S. Schneider & J. Margraf (Hrsg.),
      Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 3: Psychologische Therapie bei Indikationen im Kindes- und Jugendalter (2. Aufl., S. 261−282). Berlin: Springer.[]
    3. Statistisches Bundesamt (2021). Kindeswohlgefährdung: In jedem 5. Fall wurden mehrere Arten von Gewalt oder Vernachlässigung festgestellt. Homepage DESTATIS. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/01/PD21_004_225.html (Abgerufen am 12.11.2021) []
    4. Hahlweg, K., Ditzen, B, Job, A.-K., Gastner, J., Schulz, W., Supke, M., & Walper, S. (2020). COVID-19: Psychologische Folgen für Familie, Kinder und Partnerschaft. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, (49)3, 157–171.[]
    5. Hegerl, U. (2022). Die stille Katastrophe: Stellungnahme von Prof. Ulrich Hegerl zur Situation psychisch Erkrankter in der Pandemie. https://www.deutsche-depressionshilfe.de/presse- und- pr/pressemitteilungen?file=files/cms/downloads/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen%202022/s tille-kathastrophe_psychisch-kranke-in-der-pandemie.pdf (Abgerufen am 01.02.2022) []