Hast du dich schonmal gefragt, wieso manche Menschen mit belastenden Erfahrungen besser umgehen können als andere? So scheint die eine Person sich nach solch einer Erfahrung schnell wieder zu erholen und vielleicht sogar gestärkt daraus hervorzugehen – die andere Person hat vielleicht noch Jahre danach mit den Folgen zu kämpfen. Was genau führt zu diesem Unterschied? Im Nachfolgenden durchleuchten wir dieses Phänomen einmal genauer. 

    Belastende Kindheitserfahrungen können das Risiko für spätere Probleme im Erwachsenenalter erhöhen. In zahlreichen Studien wurde allerdings häufig beobachtet, dass sich viele Kinder trotz belastender Erfahrungen gesund weiterentwickeln und im Erwachsenenalter keine negativen Folgen zu erkennen sind. Hier kommt die Resilienz ins Spiel: Menschen können bestimmte Fähigkeiten und Ressourcen besitzen, die sie vor starken Beeinträchtigungen durch ihre negativen Erfahrungen schützen. 

    In einer der einflussreichsten Studie der Resilienzforschung wurde eine Gemeinschaft auf der hawaiianischen Insel Kauai über 40 Jahre hinweg in einer sogenannten Langzeituntersuchung begleitet. Viele der in dieser Studie untersuchten Kinder wuchsen in schwierigen Familienverhältnissen auf – beispielsweise mit Eltern die psychisch erkrankt waren, in finanziellen Schwierigkeiten steckten oder ein geringes Bildungsniveau hatten. Während zwei Drittel dieser Kinder im späteren Verlauf ihres Lebens Lern- und Verhaltensstörungen aufwiesen, entwickelte sich immerhin ein Drittel von ihnen ohne größere Beeinträchtigungen. Die Wissenschaftler versuchten  herauszufinden, warum diese Kinder sich positiver entwickelten. Ihre Antwort: Sie konnten sich besser vor den negativen Folgen ihrer belastenden Erfahrungen schützen, sie waren resilienter. 1

    Resilienz leitet sich vom lateinischen Wort “resilire” ab, was als “zurückspringen” oder “abprallen” übersetzt werden kann. Dieser Begriff wurde ursprünglich in der Physik benutzt und beschreibt die Fähigkeit eines Körpers, nach einer Verformung (z. B. durch Druck) wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. 2In der Psychologie bezieht sich Resilienz auf die Fähigkeit von Personen, sich von starken Belastungen zu erholen und danach gesund und ohne Beeinträchtigungen weiterleben zu können. Oft wird Resilienz auch mit Widerstandfähigkeit umschrieben. Man geht heute nicht mehr davon aus, dass Resilienz ein stabiles Persönlichkeitsmerkmal ist, das angeboren und unveränderlich ist. Vielmehr entwickelt sie sich in der Auseinandersetzung der Person mit ihrer Umgebung und mit bestimmten Situationen. 3 Auch ist Resilienz keine Eigenschaft, die man einmal erlernt und dann in jeder Krisensituation gleichermaßen “anwenden” kann. Ein und dieselbe Person kann in einer Situation oder Phase ihres Lebens resilient sein und in einer anderen Situation oder Phase ihres Lebens nicht. 4

    Man ist sich in der Resilienzforschung einig, dass es bestimmte Risiko- und Schutzfaktoren gibt, die Resilienz vermindern oder begünstigen. Im Allgemeinen unterscheidet man verschiedene sogenannte Risiko– und Schutzfaktoren auf den folgenden drei Ebenen: 

     

    Gemeinschaftliche Ebene 

    Zu den Risikofaktoren auf der gemeinschaftlichen Ebene gehören z. B. eine unzureichende soziale Unterstützung. Im Umkehrschluss hilft dir eine gute soziale Unterstützung als Schutzfaktor dabei, resilienter zu sein. Das Aufrechterhalten von engen und langjährigen Freundschaften spielt hierbei eine wichtige Rolle. Auch die Zugehörigkeit und Mitwirkungen in einer Gemeinschaft oder Organisation (z. B. einem Verein) kann als Schutzfaktor auf dieser Ebene beispielhaft angeführt werden. 5

    Familiäre Ebene 

    Auf dieser Ebene werden Erkrankungen der Eltern oder anderweitige familiäre Belastungen durch schwierige Lebensumstände, häufig wechselnde Beziehungen oder Abwesenheit eines Elternteils sowie ein dauerhaft schlechtes Familienklima mit vielen Konflikten als Risikofaktoren angeführt. 2Weitere Risikofaktoren können ein niedriger sozialer Status mit geringen finanziellen Möglichkeiten und fehlender Anerkennung der eigenen Lebensleistung oder auch häufige Umzüge sein. 6Eine sichere und enge Bindung zu mindestens einer bestimmten Bezugsperson stellte sich hingegen als wichtigster Schutzfaktor auf dieser Ebene heraus. Dabei muss es sich bei der Bezugsperson nicht zwingend um einen Elternteil handeln. Auch eine enge Geschwisterbeziehung kann z. B. diese Funktion erfüllen. 7

    Individuelle Ebene 

    Auf dieser Ebene zählen psychische Probleme wie Depressionen oder Ängste der Kinder zu den Risikofaktoren. 2Schutzfaktoren sind beispielsweise gute Problemlösungskompetenzen, eine hohe Selbstwirksamkeit und ein gutes Selbstbewusstsein. In der oben genannten Studie fanden die Wissenschaftler außerdem heraus, dass die resilienten Kinder ihre Fähigkeiten effektiver nutzten. Viele verfolgten ein bestimmtes Hobby über längere Zeit und erzielten dadurch Erfolgserlebnisse, was sich wiederum positiv auf ihr Selbstbild auswirkte. 1Außerdem geht eine optimistische Grundhaltung häufiger mit höherer Resilienz einher. 8

    Jetzt stellst du dir vielleicht die Frage, ob sich Resilienz erlernen lässt? Die Antwort lautet – vielleicht etwas unbefriedigend – “Jein”. Da Resilienz von der Situation und vielen anderen (oft schwer zu beeinflussenden) Gegebenheiten abhängt, kann man nicht davon ausgehen, bestimmte Verhaltensweisen zu erlernen und diese dann in jeder belastenden Situation gleichermaßen anwenden zu können. Trotzdem gibt es bestimmte Herangehensweisen, die du ausprobieren kannst. So kann es dir zum Beispiel helfen, über vorherige Krisen nachzudenken und dich zu fragen, was dir dabei geholfen hat, diese unbeschadet zu überstehen. Oder auch:  Welche Einstellungen hast du zu Krisensituationen? Dabei können dir deine eigenen Stärken und Schwächen deutlich werden. Außerdem können bestimmte individuelle Schutzfaktoren (z. B. ein gutes Selbstbewusstsein) durch gezielte Übungen gestärkt werden. 9

    Zurückkommend auf die eingangs gestellte Frage: Es gibt also durchaus eine Erklärung dafür, wieso sich manche Menschen besser und schneller von belastenden Erfahrungen erholen. Trotzdem gibt es nicht das eine Rezept zur Förderung der eigenen Resilienz in allen Krisensituationen. Sie entwickelt sich in der aktiven Auseinandersetzung mit der belastenden Situation und hängt von verschiedenen Ressourcen und Fähigkeiten ab. Wie du an diesen hilfreichen Faktoren arbeiten kannst, möchten wir dir in einigen unserer anderen Artikel noch genauer zeigen! 

     

     

    1. Werner, E. E. (1997). Vulnerable but invincible: high‐risk children from birth to adulthood. Acta Paediatrica, 86(S422), 103-105.[][]
    2. Thun-Hohenstein, L., Lampert, K., & Altendorfer-Kling, U. (2020). Resilienz–Geschichte, Modelle und Anwendung. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, 19(1), 7-20.[][][]
    3. Wustmann, C. (2006). Das Konzept der Resilienz und seine Bedeutung für das pädagogische Handeln. Resilienz. Was Kinder aus armen Familien stark macht. ISS-Aktuell, 2(2006), 6-14.[]
    4. Werner, E. (2012). Risk, resilience, and recovery. Reclaiming children and youth, 21(1), 18.[]
    5. Werner, E. E. (1997). Vulnerable but invincible: high‐risk children from birth to adulthood. Acta Paediatrica, 86(S422), 103-105.[]
    6. Scharnhorst, J. (2010). Individual power of resilience—a necessary core competence? Resilience research in theory and practice (Individuelle Widerstandskraft–eine notwendige Kernkompetenz? Resilienzforschung in Theorie und Praxis). Personalfuehrung, 34(37), 34-41.[]
    7. Werner, E. E. (1997). Vulnerable but invincible: high‐risk children from birth to adulthood. Acta Paediatrica, 86(S422), 103-105.[]
    8. Höfler, M. (2014). Psychological resilience building in disaster risk reduction: Contributions from adult education. International Journal of Disaster Risk Science, 5(1), 33-40.[]
    9. Scharnhorst, J. (2010). Individual power of resilience—a necessary core competence? Resilience research in theory and practice  Personalfuehrung, 34(37), 34-41.[]