Dies ist ein vierteiliger Artikel. Hier findest du den Link zu Teil 1: Sexueller Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter und hier den Link zu Teil 3: Sexueller Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter betrifft Mädchen und Jungen. Den vierten und letzten Teil dieser Reihe findest du hier: Folgen von sexuellem Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter.

     

    Nun fragst du dich vielleicht, wie es zu sexuellem Missbrauch an Kindern oder Jugendlichen kommen kann. Im Folgenden erfährst du etwas über die Täter:innen sowie mögliche Risiko- als auch Schutzfaktoren.  

    Die Täter:innen sind laut Studien zum größten Teil männliche Familienangehörige, insbesondere Onkel, Stiefväter oder Väter, aber auch gute Bekannte, wie beispielsweise Nachbarn oder Freunde der Eltern. Sexueller Missbrauch kann jedoch auch durch Frauen, Geschwisterkinder oder Gleichaltrige stattfinden. In knapp jedem vierten Fall handelt es sich bei den Tätern um eine männliche unbekannte Person. 1 In öffentlichen Einrichtungen, wie z. B. Schulen oder Sportvereinen, findet hingegen seltener sexueller Missbrauch statt. Außerdem ist es wichtig zu betonen, dass die meisten Straftaten gegen Kinder – darunter auch sexueller Missbrauch – hinter verschlossenen Türen und fernab der öffentlichen Wahrnehmung geschehen. 1

    Die Motivationen und Hintergründe von Täter:innen sind sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gibt es zwei Gruppen von Täter:innen: Die eine Gruppe fühlt sich von Kindern und Jugendlichen sexuell angezogen. Hier spricht man auch von Pädophilie. Bei Pädophilie handelt es sich um eine medizinische Diagnose, die unter die „Störungen der Sexualpräferenz“ fällt. Dabei ist zu betonen, dass nicht alle Menschen mit dieser Störung Straftäter:innen sind oder werden: Studien zufolge leben fast 80 Prozent aller Pädophilen ihre Phantasien nicht aus. Es gibt psychologische Behandlungsmöglichkeiten, die sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche verhindern können. Die zweite Gruppe von Täter:innen greift aus anderen Gründen zu sexueller Gewalt. Eine Motivation kann das Ausleben von Macht oder das Bedürfnis der Erniedrigung anderer sein. Zu einer sogenannten „plötzliche triebhaften Tat“ kommt es in den seltensten Fällen. Der sexuelle Kindesmissbrauch wird meistens sorgfältig vorbereitet und geplant. Zunächst wird ein Vertrauensaufbau betrieben. Dieser ist bei Täter:innen aus der Familie meist sehr einfach möglich, erfordert jedoch bei externen Täter:innen mehr Vorbereitung und Aufwand. Dem Vertrauensaufbau zum potenziellen Opfer dient meist eine verstärkte emotionale Zuwendung oder das Übergeben von kleinen Geschenken. Daraufhin folgt meist eine Isolierung von der Familie oder anderen Vertrauenspersonen und der Zwang zur Geheimhaltung. Meistens überschreiten die Täter:innen im Verlauf immer mehr Grenzen des Kindes oder Jugendlichen, sodass diese Grenzüberschreitungen zunehmend als Normalität wahrnehmen. Das kann zum Beispiel durch unangemessenes Reden über Sexualität bewirkt werden. 2

    Wissenschaftler:innen haben verschiedene Faktoren feststellen können, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen oder senken, dass ein Kind oder ein:e Jugendliche:r sexuellen Missbrauch erleben muss. Kinder haben demnach ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt innerhalb der Familie zu erfahren, wenn sie mit ihren Stiefvater zusammenleben, ohne ihre Mutter leben oder wenn es durch den Vater fehlende körperliche Zuneigung gibt. Außerdem sind schwierige Familienverhältnisse, z. B. infolge psychischer Erkrankung eines Elternteils oder der Scheidung der Eltern, ein Risiko. Kinder und Jugendliche sehnen sich nach Zuwendung, Anerkennung, Beachtung, Schutz, Unterstützung und Liebe. Die Täter:innen setzen genau hier an und bemühen sich, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Risiken für sexuellen Kindesmissbrauch außerhalb der Familie sind die Abwesenheit einer männlichen Bezugsperson, Vernachlässigung durch Eltern, eine schlechte finanzielle Situation der Familie oder eine schlechte Integration in der Schule.

    Diesen Risikofaktoren stehen die Fähigkeiten und Ressourcen der Kinder als Schutzfaktoren gegenüber. Hier ist es hilfreich, wenn Kinder schon früh das Verständnis und die Überzeugung haben, dass ihr Körper nur ihnen selbst gehört und sie dies auch äußern können. Außerdem hat ein gutes Bewusstsein über die eigenen Gefühle und die Möglichkeit, diese mitteilen zu können, einen schützenden Effekt. Darüber hinaus hilft es, wenn Kinder lernen, mit “Geheimnissen” umzugehen. Kinder sollten folgendes lernen: Es gibt Dinge, die sie ohne Probleme für sich behalten können und andere Erlebnisse, andere Erlebnisse, die unbedingt einem Erwachsenen mitgeteilt werden müssen – wie einen versuchten sexuellen Missbrauch. Wenn Kinder wissen, wo ihre eigenen Grenzen verlaufen, können sie in diesen Kontexten besser “Nein” sagen. Zudem ist die Überzeugung, dass man sich Hilfe holen kann, ein essenzieller Schutzfaktor gegen sexuellen Missbrauch. Jungen sind aufgrund des noch immer vorherrschenden Rollenbildes besonders gefährdet, sich keine Hilfe zu holen, da dies als vermeintliche „Schwäche“ interpretiert wird. Daher ist vor allem die Unterstützung durch männliche Bezugspersonen hier von besonderer Bedeutung, um zu verstehen, dass „sich Hilfe holen“ keinesfalls schwach, sondern eine Stärke ist. Nicht zuletzt stellt ein schützendes Netzwerk von Personen, die auf die Kinder und Jugendlichen achten – wie beispielsweise Nachbar:innen, Freund:innen und Lehrer:innen – einen großen Schutzfaktor dar. 2 Wenn es dennoch zu einem Missbrauch kommt, ist die Wahrscheinlichkeit, schwerwiegende Folgebeeinträchtigungen zu entwickeln, bei Kindern mit vielen Ressourcen und Schutzfaktoren geringer. 3

     

    1. Bieneck, S., Stadler, L., Pfeiffer, C., & Niedersachsen, K. F. (2011). Erster Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.[][]
    2. Fobian, C., Lindenberg, M., & Ulfers, R. (2018). Jungen als Opfer von sexueller Gewalt: Ausmaß, theoretische Zugänge und praktische Fragen für die Soziale Arbeit (Vol. 6). Nomos Verlag.[][]
    3. Fegert, J. M., Hoffmann, U., Spröber, N., & Liebhardt, H. (2013). Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 56(2), 199-207.[]