Dies ist ein vierteiliger Artikel. Hier findest du den Link zu Teil 1: Sexueller Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter und hier den Link zu Teil 2: Wie kommt es zu sexuellem Missbrauch an Kindern oder Jugendlichen? Den vierten und letzten Teil dieser Reihe findest du hier: Folgen von sexuellem Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter. 

     

    Nach derzeitigem Kenntnisstand erleben Mädchen häufiger sexuellen Missbrauch als Jungen. Außerdem vermutet man, dass sie häufiger schweren sexuellen Missbrauch erfahren. Die Untersuchungen zur Anzahl der nicht angezeigten Taten sexuellen Kindesmissbrauchs liefern jedoch unterschiedliche Ergebnisse. Manche Studien kommen zu dem Schluss, dass jedes dritte bis vierte Mädchen als Kind oder Jugendliche sexuelle Gewalt erlebte. Es stellte sich in einer Befragung heraus, dass Mädchen häufig im familiären Umfeld mit sexuellem Missbrauch konfrontiert werden. 1 Die betroffenen Mädchen und jungen Frauen glauben häufig, sie hätten selbst Schuld an den Geschehnissen. Täter:innen behaupten dies oft, um den Betroffenen Angst zu machen und sie zum Schweigen zu bringen. 2 Denn man spricht nicht gerne über Dinge, die einem peinlich oder unangenehm sind. Hierdurch bleiben viele Taten unentdeckt. Allerdings wird über den Missbrauch an Mädchen häufiger gesprochen, als über den an Jungen. Daher trauen sich diese möglicherweise eher, über diese Erfahrung mit anderen Personen zu sprechen. Warum das bei Jungen anders ist, erfährst du im nächsten Absatz.

    Unter den bekannt gewordenen Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch im Jahr 2020 betraf mehr als jeder vierte Fall einen Jungen. Außerdem wird vermutet, dass jeder neunte bis zwölfte Junge in seiner Kindheit oder Jugend sexuelle Gewalt erlebt. 3 Damit sind tendenziell weniger Jungen als Mädchen betroffen. Allerdings sind sich viele Wissenschaftler:innen einig, dass sexueller Missbrauch an Jungen seltener ans Licht kommt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es herrscht noch immer ein Männerbild, in dem von einem Jungen erwartet wird, dass er stark ist, keine Schwächen zeigt, sich widersetzen und damit selbst schützen kann. Laut dieser Rollenvorstellung sollten Jungen nicht um Hilfe bitten, weil sie alleine klarkommen müssen. 2 Dabei ist gerade die Bezeichnung als “Opfer” für Jungen nur schwer anzunehmen. Heutzutage wird der Begriff unter Jugendlichen oft als Schimpfwort verwendet und unbewusst mit Schwäche, Inkompetenz, Hilflosigkeit, Versagen oder Dummheit gleichgesetzt. Gerade dies erschwert das Anzeigen einer Straftat für Jungen. Darüber hinaus haben Jungen aufgrund ihrer Erziehung häufig andere Bewältigungsstrategien als Mädchen. Dies verhindert die Aufklärung vieler Taten von sexuellem Missbrauch, da Jungen zumeist keiner anderen Person von der leidvollen Erfahrung erzählen und die damit verbundenen Gedanken und Gefühle lieber “mit sich selbst ausmachen”. Sie machen sich häufig massive Vorwürfe, glauben, sie hätten selbst Schuld und haben bei männlichen Tätern teilweise Angst, für homosexuell gehalten zu werden. 3 Weibliche Täter:innen vergehen sich weitaus häufiger an Jungen als an Mädchen, allerdings sind auch beim sexuellen Missbrauch von Jungen die Täter meist männlich. 4 Insgesamt kann man also sagen, dass sexueller Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter bei Jungen und Mädchen vorkommen kann und dass es unerlässlich ist über dieses Thema zu sprechen.

     

    1. Pohling, A. (2021). Artikulationen sexueller Gewalt. Biographien, Diskurse und der Übergang zum Sprechen. Wiesbaden. Dissertationsschrift Goethe-Universität Frankfurt am Main.[]
    2. Sabas, N. (2022). Zur Häufigkeit von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. In Geheimhaltung-Sexueller Missbrauch (pp. 25-36). Springer, Wiesbaden.[][]
    3. Fobian, C., Lindenberg, M., & Ulfers, R. (2018). Jungen als Opfer von sexueller Gewalt: Ausmaß, theoretische Zugänge und praktische Fragen für die Soziale Arbeit (Vol. 6). Nomos Verlag.[][]
    4. Bieneck, S., Stadler, L., Pfeiffer, C., & Niedersachsen, K. F. (2011). Erster Forschungsbericht zur Repräsentativbefragung Sexueller Missbrauch 2011. Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen.[]