Dies ist ein vierteiliger Artikel. Hier findest du den Link zu Teil 2: Wie kommt es zu sexuellem Missbrauch an Kindern oder Jugendlichen? und hier den Link zu Teil 3: Sexueller Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter betrifft Mädchen und Jungen. Den vierten und letzten Teil dieser Reihe findest du hier: Folgen von sexuellem Missbrauch im Kindes- oder Jugendalter.

     

    In diesem Artikel geht es um ein Thema, über das ungerne gesprochen wird. Betroffene sehen sich aus verschiedenen Gründen häufig zur Geheimhaltung des Erlebten gezwungen. Sie empfinden Scham und geben sich zum Teil selbst die Schuld. Außenstehende trauen sich selten, das Thema anzusprechen, da sie nicht wissen, wie. Zudem stellt es noch immer ein großes Tabu in unserer Gesellschaft dar. 1 Das Thema, mit dem sich dieser Artikel beschäftigt, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Du erfährst hier etwas über die verschiedenen Arten von sexuellem Missbrauch und über die Häufigkeit. 

    Sexueller Missbrauch ist eine Form der Kindesmisshandlung und wird als jede sexuelle Handlung von Personen verstanden, die mit oder vor einem Kind oder Jugendlichen geschieht. Dabei werden Abhängigkeit, Unwissenheit und/oder Unterlegenheit des Kindes oder Jugendlichen zur Befriedigung der Bedürfnisse des Täters oder der Täterin ausgenutzt. In Deutschland spricht man auch von ”sexueller/sexualisierter Gewalt” oder “sexueller Misshandlung“. Gerade jüngere Kinder verstehen aufgrund ihres Entwicklungsstandes sexuelle Handlungen meist nicht und sind unter anderem deswegen nicht in der Lage, sich diesen entsprechend zu widersetzen. Durch den Altersunterschied zwischen dem Täter oder der Täterin und dem betroffenen Kind oder Jugendlichen besteht ein Machtgefälle. Die Täter:innen nutzen dabei ihre körperliche oder psychische Überlegenheit, um das Opfer zu sexuellen Handlungen zu zwingen oder zu überreden. Meistens werden die Kinder oder Jugendlichen vom Täter oder von der Täterin zur Geheimhaltung verpflichtet.  

    Es gibt verschiedene Formen von Misshandlungen. Von Kindesmisshandlung spricht man, wenn eine Person (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) wiederholt gewaltsame körperliche oder seelische Schädigung von Kindern oder Jugendlichen unter 18 Jahren verursacht. Dies kann durch aktive Handlungen oder durch das Unterlassen von Hilfe geschehen. Sexueller Missbrauch ist von körperlicher und emotionaler Misshandlung oder Vernachlässigung abzugrenzen, auch wenn diese Arten häufig in Kombination auftreten. 2    3  

    Es werden verschiedene Ausprägungsgrade von sexuellem Missbrauch unterschieden: Angefangen vom sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt, bei dem eine Person z. B. ein Kind aus sexuellen Beweggründen beim Baden beobachtet, bis hin zum sehr schwerem sexuellen Missbrauch, z. B. in Form einer versuchten oder vollzogenen Vergewaltigung. Vollendete oder auch versuchte sexuelle Handlungen vor oder mit Kindern unter 14 Jahren sind immer strafbar. Wichtig ist zu wissen, dass auch sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt strafbar sind – beispielsweise wenn sich eine Person vor den Augen eines Kindes selbst befriedigt. 1 Das Strafmaß fällt je nach Tat unterschiedlich aus. Wenn sexueller Kindesmissbrauch auf Video aufgenommen und verbreitet wird, spricht man von Kinderpornografie. Durch wachsende technologische Möglichkeiten findet diese eine immer größere Verbreitung. Da der Begriff häufig als verharmlosend kritisiert wird, schlagen Expert:innen den alternativen Begriff „Missbrauchsabbildungen“ vor. 4 

    Nun stellst du dir vielleicht die Frage, wie oft sexueller Missbrauch an Minderjährigen in Deutschland überhaupt passiert. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnete für das Jahr 2020 in Deutschland 14.594 bekannt gewordene Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs. Damit ist die Anzahl der bekannten Fälle im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Unter den bekanntgewordenen Fällen befinden sich über 10.000 Mädchen und ca. 4000 betroffene Jungen. Darüber hinaus wurden 2020 ca. 1500 Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Jugendlichen und 21.868 Fälle aufgrund sogenannter Kinder- und Jugendpornografie aufgegeben. Dabei handelt es sich jedoch nur um die Zahlen, die bekannt sind. Das sogenannte Dunkelfeld, also die Zahl der nicht zur Anzeige gebrachten Fälle, ist weitaus größer: Es wird angenommen, dass nur jeder fünfzehnte bis zwanzigste Missbrauch angezeigt wird. Aufgrund von groß angelegten Untersuchungen vermuten Wissenschaftler:innen, dass etwa jede:r siebte bis achte Erwachsene in der Kindheit oder Jugend sexuelle Gewalt erlebte. 5

     

    1. Fobian, C., Lindenberg, M., & Ulfers, R. (2018). Jungen als Opfer von sexueller Gewalt: Ausmaß, theoretische Zugänge und praktische Fragen für die Soziale Arbeit (Vol. 6). Nomos Verlag.[][]
    2. Herrmann, B.; Franke, I. & Noeker, M. (2019). Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern. Springer Medizin Verlag GmbH & Springer Verlag GmbH, Teile von SpringerNature. Zugriff am 08.08.2022. Verfügbar unter: https://www.springermedizin.de/emedpedia/paediatrie/misshandlung-missbrauch-und-vernachlaessigung-von-kindern?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54671-6_20[]
    3. Fegert, J. M., Hoffmann, U., Spröber, N., & Liebhardt, H. (2013). Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 56(2), 199-207.[]
    4. Franke, I. & Graf, M. (2016). Kinderpornografie. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 10(2), 87–97. https://doi.org/10.1007/s11757-016-0361-8[]
    5. Sabas, N. (2022). Zur Häufigkeit von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. In Geheimhaltung-Sexueller Missbrauch (pp. 25-36). Springer, Wiesbaden.[]