Dies ist ein dreiteiliger Artikel. Hier findest du den Link zu Teil 2: Psychische Störung in der Familie als Tabu-Thema und hier den Link zu Teil 3: Psychischen Störungen in der Familie: Mögliche Folgen. Vielleicht musstest du ganz früh im Leben Verantwortung für dich selbst, deine Geschwister oder ein Elternteil übernehmen, hast dir um deine Mutter oder deinen Vater Sorgen gemacht und hattest vielleicht sogar Angst, dass er oder sie sich etwas antun würde? 

    Psychische Störungen sind gar nicht so selten. Innerhalb eines Jahres leidet in Deutschland jede dritte bis vierte Person an einer psychischen Störung. Dabei sind Angststörungen am häufigsten, gefolgt von Depression und Alkohol- und Medikamentenabhängigkeiten. 1 Es gibt darüber hinaus noch sehr viele andere psychische Störungen, deren Verlauf und Symptome sich von Person zu Person stark unterscheiden können. 2 Wenn ein Elternteil an einer psychischen Störung erkrankt ist, dann betrifft dies in der Regel die gesamte Familie und damit auch die Kinder. 

    Bei einer depressiven Störung der Mutter oder des Vaters merken die Kinder z. B., dass der Elternteil sich zurückzieht, keinen Antrieb mehr hat für alltägliche Dinge, hoffnungslos und müde ist oder häufig grübelt. 3 Eine Depression kann ganz verschieden stark ausgeprägt sein. Bei einer leichten Form ist der Elternteil vielleicht etwas häufiger traurig und muss sich überwinden, den Alltag zu bewältigen kann jedoch noch fast alle anstehenden Aufgaben erledigen. Bei schwereren Formen kann es sein, dass der Elternteil gar nicht mehr aus dem Bett aufsteht und selbst die einfachsten Aktivitäten zu viel sind. Im schlimmsten Fall kann eine Depression zum Suizid führen. Wenn ein Kind einen Suizid oder den Versuch des Elternteils miterleben muss, ist dies eine besonders belastende Situation, die therapeutische Unterstützung erfordert. Mehr als jeder zweite Suizid ist Folge einer psychischen Störung. 4 Allerdings bedeutet dies nicht, dass jede Person, die an einer psychischen Störung leidet, Gefahr läuft sich umzubringen. 

    Menschen, die an einer Angststörung leiden, verspüren oft eine starke und unangemessene Angst, ohne einer tatsächlichen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Der Alltag lässt sich häufig nicht mehr normal bewältigen. Die Angststörung kann entweder “spezifisch” sein, wie bei einer Spinnen-Phobie. Hier löst etwas Konkretes die Angst aus. Oder die Angst ist “generalisiert” und wird durch viele verschiedene Dinge und Situationen hervorgerufen. Typisch für Angststörungen können Reaktionen wie starkes Herzklopfen, Schweißattacken, Mundtrockenheit, Hitzewallungen, Kälteschauer oder die konkrete Angst vor Kontrollverlust sein. Bei häufig und scheinbar ohne einen Auslöser auftretenden Panikattacken, die länger als vier Monate anhalten, spricht man auch von einer Panikstörung. Gerade bei einer generalisierten Angststörung erleben die Kinder des betroffenen Elternteils die ständigen Sorgen und Ängste in vielen Lebenssituationen. 5

    Auch Alkohol- und Medikamentenabhängigkeiten gehören zu den psychischen Störungen. Kinder von Eltern mit einer solchen Störung erleben möglicherweise eine Wesensveränderung des Elternteils durch den Einfluss der Drogen. Dabei zeigen sich beispielsweise starke Stimmungsschwankungen oder ein aggressives Verhalten mit zunehmender Gewalttätigkeit. 6

    Über diese häufigsten psychischen Störungen hinaus gibt es auch noch andere. Hier erleben die Kinder beispielsweise, wie der Elternteil plötzlich verwirrt ist, sich unverständlich verhält, misstrauischer wird, nicht mehr ansprechbar ist oder das Gefühl für Raum und Zeit verliert – und deswegen nicht mehr weiß wo er ist und welches Jahr wir haben. Vater oder Mutter wird vom Kind teilweise als fremd oder unheimlich erlebt. 3 Wenn ein Elternteil beispielsweise an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankt ist, müssen die Kinder mit dessen Impulsivität und Instabilität in allen Lebens- und Beziehungsbereichen umgehen und möglicherweise häufige Partnerwechsel miterleben. 7

     

     

    1. Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al (2016) Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt 87:88–90. https://doi.org/10.1007/s00115-015-4458-7[]
    2. Lenz, A. (2014) Kinder psychisch kranker Eltern (2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Göttingen: Hogrefe.[]
    3. Lenz, A., & Wiegand-Grefe, S. (2017). Kinder psychisch kranker Eltern (Vol. 23). Hogrefe Verlag.[][]
    4. Brieger, P., & Menzel, S. (2020). Sind Menschen, die sich das Leben nehmen, psychisch krank?–Kontra. Psychiatrische Praxis, 47(04), 177-178.[]
    5. Dilling, H., & Freyberger, H. J. (2000). Taschenführer zur Klassifikation psychischer Störungen: mit Glossar und diagnostischen Kriterien ICD-10, DCR-10. Hans Huber.[]
    6. Plass, A., & Wiegand-Grefe, S. (2012). Kinder psychisch kranker Eltern. Beltz.[]
    7. Wiegand-Grefe, S., Halverscheid, S., & Plass, A. (2011). Kinder und ihre psychisch kranken Eltern: familienorientierte Prävention-der CHIMPs-Beratungsansatz. Hogrefe Verlag.[]