Dies ist der zweite Teil eines dreiteiligen Artikels. Hier findest du den Link zu Teil 1: Psychische Störungen in der Familie und hier den Link zu Teil 3: Psychischen Störungen in der Familie: Mögliche Folgen.

    In der Öffentlichkeit bestehen noch viele Vorurteile über psychische Störungen, die dazu führen, dass Betroffene es schwer haben, über ihre psychische Störung zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Daher kann man sagen, dass psychische Störungen nach wie vor ein Tabu-Thema sind. Nur jedes vierte Kind wird von seinen Eltern über die Erkrankung des Elternteils informiert und nur jedes fünfte Kind erhält über die Diagnose hinaus noch mehr Informationen. Diese Kinder erfahren etwas über den Verlauf der psychischen Störung, über die Medikamente oder den Zweck eines stationären Krankenhausaufenthaltes. 1 Häufig reden die Eltern nicht mit ihren Kindern über ihre Erkrankung, weil sie diese schützen wollen. Dies führt jedoch dazu, dass die Kinder das Verhalten ihrer Eltern als sehr irritierend empfinden und es nicht einordnen können. Aufgrund von Scham- oder Schuldgefühlen trauen sich die Kinder zudem meist nicht, mit anderen darüber zu sprechen und sind oft mit der Situation überfordert. 2 Darüber hinaus besteht bei dem erkrankten Elternteil häufig die Angst, das Sorgerecht zu verlieren, wenn er sich Hilfe sucht und somit andere über seine Krankheit in Kenntnis setzen. 3 

    Viele Kinder psychisch kranker Eltern sind stark belastet. Um traumatische Situationen, wie es die Klinikeinweisung eines Elternteils sein kann, bewältigen zu können, ziehen sich die Kinder häufig zurück. Sie wirken nach außen teilnahmslos und scheinbar unberührt von dem Geschehen. 1 Dabei leiden sie oft unter Schuldgefühlen, Trennungsangst und Loyalitätskonflikten und machen sich große Sorgen um die Mutter oder den Vater oder darüber, selbst später eine psychische Störung zu entwickeln. In der Familie übernehmen sie oft die Elternrolle und kümmern sich um den erkrankten Elternteil oder die jüngeren Geschwister. 4Außerdem haben Kinder psychisch erkrankter Eltern meist Probleme, Freundschaften zu knüpfen und sind teilweise aggressiv gegenüber Schulkamerad:innen. 5 Leidet ein Elternteil an einer psychischen Störung, gibt es oft auch Beziehungsprobleme zwischen den Eltern, die zu einer Trennung oder Scheidung führen können. In diesem Fall müssen die Kinder eine weitere belastende Kindheitserfahrung erleben und verarbeiten. 

    Viele Kinder psychisch kranker Eltern beschreiben Jahre später, dass es ihnen im Prozess des Erwachsen-Werdens schwerfiel, sich von ihren Eltern abzugrenzen und ihr eigenes Leben zu führen. Sie beschreiben als Erwachsene, dass sie sich lange verantwortlich fühlten und für den Elternteil sorgen wollten, hatten jedoch trotzdem meist einen starken Wunsch nach einem “eigenen Leben”. Dieser Zwiespalt ist häufig sehr belastend. Auch sagen Betroffene, dass sie von dem erkrankten Elternteil nicht genug sozial unterstützt wurden. Dies ist umso schwerwiegender, weil eine gute soziale Unterstützung einen wichtigen Faktor darstellt, der vor einer eigenen psychischen Erkrankung schützt (Link zu Artikel Resilienz: Starke Seele auch in Krisensituationen). 1 Es fällt Vielen nach einer solchen Erfahrung schwer, Vertrauen und Nähe zu anderen Menschen zuzulassen. Daher beschreiben Betroffene, dass sie Probleme haben, Freundschaften zu knüpfen oder eine partnerschaftliche Beziehung zu führen. Nicht ungewöhnlich ist auch ein geringes Selbstwertgefühl. Manche Kinder psychisch kranker Eltern nennen später jedoch auch positive Auswirkungen der Erfahrungen: die Entwicklung persönlicher Stärken wie Empathie, Belastbarkeit und Verantwortungsbewusstsein und eine intensive Eltern-Kind-Beziehung. 6

     

    1. Plass, A., & Wiegand-Grefe, S. (2012). Kinder psychisch kranker Eltern. Beltz.[][][]
    2. Aydin, N., & Fritsch, K. (2015). Stigma und Stigmatisierung von psychischen Krankheiten. Psychotherapeut, 60(3), 245-257.[]
    3. Lenz, A. (2014). Kinder psychisch kranker Eltern (2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). Göttingen: Hogrefe.[]
    4. Lenz, A., & Wiegand-Grefe, S. (2017). Kinder psychisch kranker Eltern (Vol. 23). Hogrefe Verlag.[]
    5. Plass, A., & Wiegand-Grefe, S. (2012). Kinder psychisch kranker Eltern. Beltz.[]
    6. Jungbauer, J., Heitmann, K., Westphal, A., & Vock, M. (2018). Erwachsene Kinder psychisch erkrankter Eltern: Ergebnisse einer explorativen Fragebogenstudie: Adult children of parents with mental illnesses: Results from an exploratory survey. Journal of Family Research, 30(2), p. 216–229. https://doi.org/10.3224/zff.v30i2.05[]