Was als Stress empfunden wird, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch stark. Dass belastende Kindheitserfahrungen damit einhergehen, ist aber unstrittig. Unter Stress beschleunigen sich Atmung und Herzschlag, der Blutdruck steigt und der Körper macht sich bereit für Kampf oder Flucht. Für unsere steinzeitlichen Vorfahren bot diese Reaktion einen überlebenswichtigen Vorteil, wenn sie beispielsweise einem Säbelzahntiger gegenüber standen. 1

    Seitdem hat sich zwar unser Alltag erheblich verändert, der Bauplan unseres Gehirns und unsere körperliche Reaktion auf Bedrohung sind jedoch weitgehend unverändert. 2 Während sich unsere Vorfahren häufiger in Situationen befanden, in denen Kampf, Flucht oder Totstellen/Verharren/”Einfrieren” die Wahrscheinlichkeit des Überlebens steigerten, ist dies auf viele moderne Stresssituationen nicht übertragbar, z. B. angesichts eines Vortrags in der Schule oder am Arbeitsplatz. Doch auch hier kann die körperliche Stressreaktion hilfreich sein, da sie unsere Aufmerksamkeit und Wachheit steigert und es hierdurch ermöglicht, uns besser auf die wichtige Aufgabe zu konzentrieren. Zumeist lässt der Stress in Form von “Lampenfieber” oder einem “Kribbeln im Bauch” nach überstandener Situation rasch nach und Körper und Geist können sich erholen.

    Auch alle Formen belastender Kindheitserfahrungen lösen Stress aus. Sie gehen entweder mit starken negativen Reizen (z. B. Gewalterleben) oder dem Entzug positiver Reize (z. B. Vernachlässigung) einher. Hierbei wird das innere Gleichgewicht der Betroffenen gestört und die Fähigkeit, diese äußeren Einflüsse zu bewältigen, stark beansprucht oder überstiegen. 3 Die evolutionär nützliche Stressreaktion wird dabei zum Problem. Die Auslöser sind häufig langandauernd, die Betroffenen stehen ständig “unter Strom” und die wichtigen Erholungsphasen bleiben aus. Ein anschauliches Beispiel sind schwierige Familienverhältnisse, die sich in der Regel nicht von einem auf den anderen Tag ändern.

    Die unter Stress ausgeschütteten Hormone können Schäden im kindlichen Nervensystem anrichten. Dies ist umso problematischer, da das sich entwickelnde Gehirn in diesem Zeitraum besonders empfindlich ist. Diese Schäden zeigen sich insbesondere in Gehirnregionen, die für die Steuerung von Erleben und Verhalten zuständig sind. Die Steuerung kann dann im gesamten Lebensverlauf beeinträchtigt sein. 4 Auch die körperliche Gesundheit ist durch dauerhaften Stress bedroht. Nachgewiesen sind unter anderem negative Folgen für das Herz-Kreislaufsystem und eine Schwächung des Immunsystems. Außerdem kommt es häufiger zu riskantem Gesundheitsverhalten, beispielsweise in Form von Nikotin- und erhöhtem Alkoholkonsum. 5 Im Alltag können Betroffene Situationen als sehr belastend empfinden, in denen andere “cool” bleiben – wie zum Beispiel ein bevorstehendes Telefonat mit einer fremden Person. Weiterer Stress scheint damit vorprogrammiert.

    Zum Glück ist ein besserer Umgang mit stressigen Situationen erlernbar und spielt in vielen Therapien eine zentrale Rolle. Hierbei kommen unter anderem Atemübungen, Meditation, Yoga, Sport oder bestimmte Formen des Tagebuchschreibens zum Einsatz. Es gilt: Nicht jede Methode eignet sich für jede Person, man muss also zunächst herausfinden, was einem selbst gut tut!

     

    1. Walsh, A. (2009). Biology and Criminology: The Biosocial Synthesis. New York: Routledge.[]
    2. Stankus, T. (2011). “Our Modern Skulls House a Stone Age Brain”: An Overview and Annotated Bibliography of Evolutionary Psychology, Part I. Behavioral & Social Sciences Librarian 30(3), 119-141.[]
    3. Zimbardo, P., Gerrig, R. (2008). Psychologie. München: Pearson.[]
    4. Roth, G. (2003). Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.[]
    5. Schommer, N., & Hellhammer, D. (2003). Psychobiologische Beiträge zum Verständnis stressbezogener Erkrankungen. In H. Reinecker (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Psychologie: Modelle psychischer Störungen (S. 62-72). Göttingen: Hogrefe.[]