Dies ist ein zweiteiliger Artikel. Hier findest du den Link zu Teil 2: Einflussfaktoren der mentalen Gesundheit.

    Meistens merkt man ziemlich schnell, dass es einem körperlich nicht gut geht. Wenn eine Erkältung nicht besser wird oder man sich den Arm gebrochen hat, geht man zum Arzt, lässt sich behandeln und kuriert sich über einen angemessenen Zeitraum aus. Für die meisten ist es eine ganz logische und selbstverständliche Schlussfolgerung: wenn ich körperliche Probleme habe und meine Symptome nicht besser werden, hole ich mir Hilfe, z. B. in der Apotheke, beim Arzt oder im Krankenhaus. Anders sieht es allerdings aus, wenn es um unsere mentale Gesundheit geht. Manchmal spricht man auch von psychischer, geistiger oder seelischer Gesundheit, in diesem Artikel ist damit allerdings ein und dasselbe gemeint. Wenn das Innere aus dem Gleichgewicht geraten ist, man also beispielsweise viele negative Emotionen verspürt und im Alltag nicht mehr richtig funktionieren kann, fällt es vielen Menschen schwer, sich Hilfe zu suchen oder diese anzunehmen. Das liegt daran, dass psychische Probleme immer noch als Tabu-Thema gelten und mit vielen Vorurteilen verbunden sind. In diesem Artikel erfährst du was man unter mentaler Gesundheit überhaupt versteht.  Um dieser Frage näher zu kommen, ist es erstmal wichtig zu erklären, wie man Gesundheit und Krankheit definiert und voneinander abgrenzt. 

    Es gibt verschiedene Modelle, die die Abgrenzung zwischen Gesundheit und Krankheit veranschaulichen und erklären. In der westlichen Medizin orientiert man sich häufig am pathogenetische Modell. Hierbei geht man davon aus, dass es lediglich zwei Zustände gibt: Man ist entweder krank oder aber gesund, es gibt also kein “Dazwischen”. Falls eine Person krank ist, muss diese Krankheit behandelt werden, damit die Person wieder den Zustand der Gesundheit erreichen kann. Davon zu unterscheiden ist z. B. die Sichtweise des salutogenetischen Modells. Zwar gibt es auch hier die Pole “gesund” und “krank” – allerdings geht man davon aus, dass diese Zustände von einem Menschen nie vollständig erreicht werden können. Solange man lebt, hat ein als gesund geltender Mensch immer auch kranke Anteile und ein kranker auch gesunde. Man kann sich eine Linie zwischen den zwei Polen “Gesundheit” und “Krankheit” vorstellen – jeder von uns bewegt sich auf der Linie hin und her. Es hängt von verschiedenen  Einflussfaktoren ab, in welche Richtung man sich bewegt. Nach diesem Ansatz geht es nicht hauptsächlich darum, Krankheit zu bekämpfen, sondern vornehmlich darum, Gesundheit zu fördern. 1  

    Nach dieser Theorie hängt es maßgeblich vom Kohärenzgefühl (von lateinisch: cohaerere = “zusammenhängen”) eine Person ab, ob sie sich näher beim “Gesundheitspol” verortet. Es handelt sich hierbei um eine grundlegende Lebensorientierung, die sich aus drei Teilen zusammensetzt: 

    1. Von der Verstehbarkeit hängt ab, ob Situationen, die im Leben auf einen zukommen, als strukturiert, vorhersehbar und erklärbar erlebt werden. 
    1. Die Handhabbarkeit beschreibt, dass Krisen als lösbar erlebt werden und man davon ausgeht, die Ressourcen zu haben, um diese zu bewältigen. 
    1. Sinnhaftigkeit bedeutet, sein Leben als sinnvoll einzustufen und daran zu glauben, dass es sich lohnt, seine Krisen zu meistern. 2 

    Menschen mit einem hohen Kohärenzgefühl reagieren flexibler auf Herausforderungen, die ihnen im Laufe ihres Lebens begegnen. Sie verfügen über eine Reihe von Bewältigungsstrategien und können diese variabel einsetzten. Es konnte daher gezeigt werden, dass es Zusammenhänge zwischen der Stärke des Kohärenzgefühls und der mentalen Gesundheit einer Person gibt.2 Wenn man mentale Gesundheit aus der Sichtweise des salutogenetischen Modells betrachtet, würde man also davon ausgehen, dass es sehr viele Abstufungen zwischen den Polen “mental gesund” und “mental krank” gibt. Auch eine psychisch erkrankte Person hat psychisch gesunde Anteile, während eine psychisch gesunde Person auch kranke Anteile haben wird.  

    Unter Fachleuten hat man sich darauf geeinigt, von einer psychischen Störung zu sprechen, anstatt von einer psychischen Erkrankung. Das liegt daran, dass dem Krankheitsbegriff die Annahme zugrunde liegt, dass es eine konkrete Ursache, spezifische Symptome sowie einen krankheitstypischen Verlauf gebe. Bei psychischen Beeinträchtigungen kann es aber sehr viele unterschiedliche Ursachen geben und auch der Verlauf kann extrem variabel sein. Der Begriff “Störung” gilt als neutraler. 3 Störungen der psychischen Gesundheit sind oft durch eine Kombination aus belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen zu anderen gekennzeichnet. Beispiele für psychische Störungen sind Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, bipolare Störungen und Psychosen.  

    Mental gesund zu sein bedeutet aber mehr, als einfach nur die Abwesenheit einer psychischen Störung. Die Weltgesundheitsorganisation definiert mentale Gesundheit als einen “Zustand des Wohlbefindens, in dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten kann.4 Die mentale Gesundheit setzt sich aus verschiedenen Facetten zusammen. Das subjektive Wohlbefinden spielt eine wichtige Rolle – aber eben auch die Fähigkeit, seinen Alltag erfolgreich managen zu können und ein aktiver Teil des gesellschaftlichen Lebens zu sein. Der Psychologe Corey Keyes beschreibt Menschen, die psychisch gesund sind, als “flourishing”, was im Deutschen so viel bedeutet wie “blühend” oder “gedeihend”. Diese Menschen kämpfen weniger mit negativen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen und besitzen ein höheres Maß an allgemeiner Zufriedenheit. 5 Trotzdem verspürt man natürlich auch als psychisch gesunder Mensch negative Emotionen oder geht mal durch eine schwierige Phase. Der entscheidende Punkt  ist, dass psychisch gesunde Menschen flexibler und souveräner mit diesen stressigen Phasen oder Erlebnissen umgehen können. Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass mentale und körperliche Gesundheit nicht unabhängig voneinander existieren. So ist z. B. gut belegt, dass psychische Störungen viele nicht übertragbare Krankheiten beeinflussen und von diesen auch beeinflusst werden. Psychische Störungen können die Vorläufer für – aber auch Folge von – körperlichen Erkrankungen wie z. B. Diabetes oder Krebs sein. 4

     

    1. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2001). Was erhält Menschen gesund. Antonovskys Modell der Salutogenese-Diskussionsstand und Stellenwert. Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, 6.[]
    2. Blättner, B. (2007). Das Modell der Salutogenese. Prävention und Gesundheitsförderung, 2(2), 67-73.[][]
    3. Denner, S. (2008). Darstellung der zentralen Begrifflichkeiten. Soziale Arbeit mit psychisch kranken Kindern und Jugendlichen, 13.[]
    4. WHO (2019). Faktenblatt – Psychische Gesundheit.HomepageWHOEurope.https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/404853/MNH_FactSheet_DE.pdf (Abgerufen am 27.06.2022) [][]
    5. Keyes, C. L. (2005). Mental illness and/or mental health? Investigating axioms of the complete state model of health. Journal of consulting and clinical psychology, 73(3), 539.[]