Kindesmisshandlung wird als Oberbegriff für emotionale oder körperliche Misshandlung oder Vernachlässigung sowie sexuellen Missbrauch von Kindern verstanden. 1 Auch wenn häufig Kombinationen einzelner Formen auftreten, findest du jeweils ausführlichere Artikel in unserer Infothek zu sexuellem Kindesmissbrauch, zu körperlicher oder emotionaler Misshandlung und zu körperlicher oder emotionaler Vernachlässigung.

    In diesem Artikel geht es um körperliche und emotionale Kindesmisshandlung. Von körperlicher Kindesmisshandlung spricht man, wenn Kindern durch körperliche Gewalt ernsthafte vorübergehende oder bleibende Verletzungen zugefügt werden. Die Art der Gewalt reicht von “Klapsen” zur Strafe, Schlägen mit der flachen Hand und der Faust, bis hin zu Tritten und Schlägen mit Gegenständen. Eine Sonderform der körperlichen Misshandlung ist das Schütteltrauma, bei dem der Täter oder die Täterin einen Säugling so stark schüttelt, dass dieser sich in Lebensgefahr befindet oder schwere körperliche Beeinträchtigungen erfährt. 2 

    Unter emotionaler, psychischer oder auch seelischer Kindesmisshandlung wird ein feindliches, abweisendes, entwürdigendes oder ignorierendes Verhalten gegenüber einem Kind verstanden. Dieses ist ein fester Bestandteil der Erziehung und der Kommunikation. Psychische Misshandlungen werden häufig mit der Bezeichnung “seelische Gewalt“ gleichgesetzt und umfassen Äußerungen oder Verhaltensweisen, die Kinder und Jugendliche ängstigen, sie herabsetzen, terrorisieren, isolieren oder überfordern und ihnen das Gefühl eigener Wertlosigkeit vermitteln. Ein Beispiel wäre das stundenlange Einsperren eines Kindes in einer dunklen Kammer. Auch seelische Grausamkeit in Form von Ablehnung und Bestrafung fällt hierunter. Hierzu zählt etwa die ständige demütigende Bevorzugung eines Geschwisterkindes, die Isolierung des Kindes oder die Bestrafung mit andauerndem Liebesentzug. Seelische Gewalt ist ebenso grausam wie körperliche. Sie ist meist nicht sichtbar und ist daher schwerer aufzudecken als andere Formen der Kindesmisshandlung. 3 Bei fast jeder Form von körperlicher oder sexueller Misshandlung oder schwerer Vernachlässigung liegt auch eine seelische Misshandlung vor. 4 

    Wie häufig körperliche oder emotionale Misshandlungen an Kindern oder Jugendlichen in Deutschland vorkommen, ist unbekannt. 5 Die polizeiliche Kriminalstatistik aus dem Jahr 2020 registrierte eine steigende Zahl von Fällen. Bekannt wurden 4.918 Fälle von Misshandlungen Schutzbefohlener, 14.500 Fälle von Kindesmissbrauch und 152 Kinder, die gewaltsam zu Tode gekommen sind. 6 Die bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass es mehr tatsächliche Fälle gab. Es kann auch bedeuten, dass die Aufklärungsraten gestiegen sind. Da es jedoch eine große Dunkelziffer und damit eine große Anzahl von unbekannten Fällen gibt, werden Befragungen durchgeführt. Dabei berichten jeweils ungefähr drei Prozent der Teilnehmenden von schwerer emotionaler bzw. körperlicher Misshandlung. Frauen nennen dabei mehr als doppelt so häufig emotionalen und sexuellen Missbrauch als Männer. 7 

    Körperliche und psychische Misshandlung von Kindern und Jugendlichen ereignen sich überwiegend innerhalb der Familie oder der Lebensgemeinschaft. Aber auch in Kindergärten, Schulen und ähnlichen Einrichtungen kommt es dazu. Zum Großteil sind die Eltern die Täter:innen. Es können jedoch auch andere, meist vertraute Personen, zu Täter:innen werden. Wenn die Eltern an Alkoholproblemen leiden, arbeitslos oder psychisch erkrankt sind, ist das Risiko erhöht, dass sie ihre Kinder misshandeln. Kindesmisshandlung tritt in jeder sozialen Schicht auf und wird häufig erst spät erkannt. 8 Kindeswohlgefährdung ist oft nicht das Resultat einer feindseligen Haltung, sondern von Überforderung und Ungewissheit. 9 Auch körperliche Misshandlungen gehen in Form von Entwürdigung, Bedrohung und Vertrauensverlust mit seelischem Missbrauch einher. 10 Außerdem ist das Risiko, Opfer von sexueller Gewalt zu werden, deutlich erhöht, wenn ein Kind oder ein:e Jugendliche:r körperlichen Missbrauch erleben musste. 11 

    Das Erleben von körperlicher oder emotionaler Kindesmisshandlung kann verschiedene Folgen für die Gesundheit und die schulische Leistungsfähigkeit von Betroffenen haben. In einer Umfrage zeigte sich, dass Menschen, die über Misshandlungen in der Kindheit berichteten, mit höherer Wahrscheinlichkeit arbeitslos waren und schlechtere Bildungsabschlüsse hatten. Außerdem wird deutlich, dass häufig Kombinationen von körperlicher Misshandlung mit anderen Arten der Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung auftraten. 7 Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Folgen von Misshandlung und Vernachlässigung umso gravierender sind, je länger Misshandlung und Vernachlässigung andauern. 9 Je mehr Arten von Kindesmisshandlung ein Kind erleben muss, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für Übergewicht und chronische Alterskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, chronische Lungenerkrankungen, Herzinfarkte und Schlaganfälle. Auch die Intensität der Misshandlung könnte laut verschiedener Studien eine Rolle in der Entwicklung von körperlichen Erkrankungen spielen. 12 Warum die Erfahrung von Misshandlung hierzu führen kann, ist jedoch noch nicht vollständig geklärt. Erste Untersuchungen zeigten, dass Betroffene teilweise eine veränderte Gehirnstruktur aufweisen, die sich auf das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit auswirken. Auch die Reaktionen auf Stress und Entzündungen werden hierdurch negativ beeinflusst. Außerdem können Kinder, die wiederholt Gewalt ausgesetzt waren, relativ harmlose oder zweideutige Situationen als bedrohlich wahrnehmen. Sie haben aus früheren Erfahrungen gelernt, dass soziale Interaktionen häufig gefährlich sind und dass erhöhte Wachsamkeit ihre eigene Sicherheit fördert. Dies kann das Entstehen von Angststörungen begünstigen und das Führen von normalen Unterhaltungen erschweren. 13  

    Insgesamt gilt auch bei dieser Form der belastenden Kindheitserfahrung: Du bist nicht allein! Es gibt viele Angebote für Betroffene, die dir dabei helfen können, Erlebtes zu verarbeiten oder zu lernen damit umzugehen.  

     

    1. Landgraf, M., Zahner, L., Nickel, P., Till, H., Keller, A., Geyer, C. et al. (2010). Kindesmisshandlung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158(2), 149–156. https://doi.org/10.1007/s00112-009-2129-0[]
    2. Banaschak, S., Janssen, K. & Rothschild, M. A. (2016). Kindesmisshandlung – eine Übersicht aus rechtsmedizinischer Sicht. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 10(2), 98–102. https://doi.org/10.1007/s11757-016-0368-1[]
    3. https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/gewalt/kindesmisshandlung/[]
    4. Herrmann, B.; Franke, I. & Noeker, M. (2019). Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern. Springer Medizin Verlag GmbH & Springer Verlag GmbH, Teile von SpringerNature. Zugriff am 08.08.2022. Verfügbar unter: https://www.springermedizin.de/emedpedia/paediatrie/misshandlung-missbrauch-und-vernachlaessigung-von-kindern?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54671-6_20[]
    5. Banaschak, S., Janssen, K. & Rothschild, M. A. (2016). Kindesmisshandlung – eine Übersicht aus rechtsmedizinischer Sicht. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 10(2), 98–102. https://doi.org/10.1007/s11757-016-0368-1[]
    6. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.). (2022). Gewalttaten an Kindern und Jugendlichen. Zugriff am 25.08.2022. Verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/zahlen-kindlicher-gewaltopfer-1917894[]
    7. Witt, A., Brown, R. C., Plener, P. L., Brähler, E. & Fegert, J. M. (2017). Child maltreatment in Germany: prevalence rates in the general population. Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health, 11(1), 47. https://doi.org/10.1186/s13034-017-0185-0[][]
    8. Landgraf, M., Zahner, L., Nickel, P., Till, H., Keller, A., Geyer, C. et al. (2010). Kindesmisshandlung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 158(2), 149–156. https://doi.org/10.1007/s00112-009-2129-0[]
    9. Brüning, T., Mohr, C., Clauß, D., Ramsauer, T. & Simon-Stolz, L. (2019). Auswirkungen und Folgen von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Monatsschrift Kinderheilkunde, 167(10), 881–890. https://doi.org/10.1007/s00112-019-0762-9[][]
    10. Herrmann, B.; Franke, I. & Noeker, M. (2019). Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern. Springer Medizin Verlag GmbH & Springer Verlag GmbH, Teile von SpringerNature. Zugriff am 08.08.2022. Verfügbar unter: https://www.springermedizin.de/emedpedia/paediatrie/misshandlung-missbrauch-und-vernachlaessigung-von-kindern?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54671-6_20[]
    11. Schickedanz, H. & Plassmann, R. (2019). Belastende Kindheitserfahrungen und körperliche Erkrankungen. In G. H. Seidler, H. J. Freyberger, H. Glaesmer & S. B. Gahleitner (Hrsg.), Handbuch der Psychotraumatologie. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage (3rd ed., S. 532–547). Stuttgart: Klett-Cotta.[]
    12. Clemens, V., Huber-Lang, M., Plener, P. L., Brähler, E., Brown, R. C. & Fegert, J. M. (2018). Association of child maltreatment subtypes and long-term physical health in a German representative sample. European Journal of Psychotraumatology, 9(1), 1510278. https://doi.org/10.1080/20008198.2018.1510278[]
    13. Jaffee, S. R. & Christian, C. W. (2014). The Biological Embedding of Child Abuse and Neglect: Implications for Policy and Practice and commentaries. Social Policy Report, 28(1), 1–36. https://doi.org/10.1002/j.2379-3988.2014.tb00078.x[]