In der Kategorie “Ganz direkt” spricht dich unsere Sozialpädagogin und Coach Simone persönlich an. Hierbei möchte sie nicht in erster Linie Wissen vermitteln und Fakten darstellen, sondern dich zum Nachdenken anregen. Sie stützt sich hierbei auf ihre Praxiserfahrung. 

    Kennst du diesen gutgemeinten Rat: „Du solltest mehr Vertrauen haben!“ Einerseits denkst du vielleicht: „Ja, stimmt schon.“ Andererseits stellen sich dir dabei vielleicht auch die Nackenhaare auf, weil absolut klar ist, dass du eines im Leben gelernt hast: Du kannst niemandem vertrauen. Vielleicht wurdest du immer wieder enttäuscht, z. B. wenn du dich in  Beziehungen von deiner verletzlichen Seite gezeigt hast. Vielleicht hast du dich oft benutzt gefühlt oder sogar hintergangen. Du bist also aus gutem Grund sehr vorsichtig geworden, nämlich, um nicht schon wieder verletzt zu werden. Genug ist genug. Soweit, so gut. Wenn da nicht diese Sehnsucht wäre. Sehnsucht danach, dich fallen lassen zu können. So sein zu können, wie du wirklich bist: mit Ecken und Kanten, unter deinem Make-up, unter den Geschichten – die du über dich erzählst, um besser dazustehen, als du dich fühlst. 

    Jede:r möchte so sein können, wie er oder sie wirklich ist, ohne Angst haben zu müssen, damit abgewiesen zu werden. Das ist ein absolutes Grundbedürfnis: einen Platz bei jemandem zu haben, der oder die dich so nimmt, wie du nun mal bist. Und da wird’s jetzt irgendwie kompliziert: du verstellst dich, um nicht verletzt zu werden und gleichzeitig möchtest du gesehen werden, wie du wirklich bist. Das kann so nicht funktionieren. Leider. Und jetzt? Wie kommst du aus dieser Zwickmühle wieder raus?  

    Eventuell musst du hier erstmal einen Schritt zurückgehen und weiter vorn beginnen. Vielleicht musst du würdigen, dass es in dir immer noch ein kleines Kind gibt – wie übrigens in jedem Menschen – das ganz bestimmte Bedürfnisse hat: nach Geborgenheit, Nähe, Wärme, Kuscheln, Spielen, Aufmerksamkeit, Ausprobieren, Sicherheit. Als Kleinkind warst du abhängig davon, dass deine Eltern oder andere Bezugspersonen dir das geben konnten. Wahrscheinlich haben sie es nicht ganz so gut gekonnt, wie du es gebraucht hättest. Oder nicht immer. Oder sogar fast nie. Du brauchst diese Dinge als Erwachsene:r immer noch, um dich gut zu fühlen. Der entscheidende Unterschied ist aber: du brauchst diese Dinge jetzt nicht mehr von einer bestimmten Person, von der du abhängig bist, denn: als Erwachsener hast du grundsätzlich die Möglichkeit, deine Bedürfnisse so zu befriedigen, wie es für dich gut ist. Du kannst dir z. B. aussuchen, mit wem du eine enge Beziehung eingehen möchtest und mit wem nicht. Du kannst dir grundsätzlich aussuchen, wo du dir Hilfe, Zuspruch, Anerkennung und Wertschätzung holst. Es kann aber trotzdem passieren, dass du dich in einer bestimmten Beziehung plötzlich wieder genauso hilflos und abhängig fühlst, wie als kleines Kind.  

    Die alten Gefühle sind noch in dir drin und tauchen plötzlich wieder auf, wenn du sie am wenigsten erwartest. Plötzlich fängst du an, zu klammern oder du versuchst, deinen Freund oder deine Freundin zu kontrollieren, damit er oder sie nichts tut, was dir wehtun könnte. Oder aber, du lässt dir im Gegenteil alles gefallen, und bist wie das brave Kind von damals. Dieses hat nur dann Aufmerksamkeit und Liebe bekommen wenn es sich möglichst gut angepasst und möglichst wenig Ärger bereitet hat.  

    Es gibt ein interessantes Buch mit dem Titel: „Das Kind in dir muss Heimat finden.“ 1 Was denkst du, wenn du sowas liest? Vielleicht klingt es für dich erstmal kindisch oder nach Blödsinn. Das Kind in dir – was soll das sein? Gibt es das wirklich? Und wie soll man diesem Kind auch noch „Heimat geben“? Was für ein Quatsch. Und doch sind da vielleicht diese verletzten Gefühle, diese Angst, nicht dazu zu gehören, nicht teilhaben zu können, wenn die anderen Spaß haben. Du kannst es „inneres Kind“ nennen oder „alte Gefühle“, aber du wirst wahrscheinlich nicht drum herum kommen, dir diese Gefühle bewusst zu machen: wo sie herkommen und was sie dir zeigen. Du hast als Kind vielleicht gelernt, dass deine Bedürfnisse keine oder wenig Beachtung bekommen haben (Link zu Körperliche und emotionale Vernachlässigung von Kindern oder Jugendlichen). Vielleicht hast du dummerweise gelernt, dass du manche selbstverständlichen Dinge (wie z. B. Verständnis und Aufmerksamkeit) nicht verdient hast. Aber Bedürfnisse sind nun mal Bedürfnisse. Jede:r hat sie. Man kann sie nicht wegzaubern. Sie melden sich so lange bei dir, bis du sie schließlich beachtest. Als Erwachsene:r geht es darum, dass du dich nun um ihre Erfüllung selbst kümmern musst. Aber dazu musst du sie zuerst bemerken: Was sind eigentlich deine Bedürfnisse? Nach was hast du große Sehnsucht? Welche emotionale Nahrung fehlt dir besonders? Mit diesen Fragen beginnt die Beziehung zu dir selbst. Wenn du sie immer wieder ehrlich dir gegenüber beantwortest, dann stellt sich irgendwann die Frage nach dem Vertrauen gar nicht mehr. Warum? Du vertraust dir jetzt selbst. Dir und deinen Bedürfnissen. Wenn du lernst, dir selbst zu vertrauen, dann können dich andere nur bedingt enttäuschen. Wieso? Du bist einfach nicht mehr so abhängig von ihnen. Du musst nicht mehr so viel von anderen erwarten, wenn du selbst besser für dich sorgen kannst. Wenn du deine eigenen Schwächen liebevoller betrachten kannst, dann erwartest du auch weniger von anderen. 

    Du musst dich also gar nicht darum bemühen, den Menschen mehr zu vertrauen, als du es tust, sondern es geht darum, dass du Vertrauen in dich selbst gewinnst. Vertrauen in deine Gefühle, deine Bedürfnisse, deine Stärken und Schwächen. Je mehr Vertrauen du zu dir selbst gewinnst, je ehrlicher du zu dir selbst bist, umso weniger musst du deine echten Gefühle hinter einer Schutzmauer verstecken. Und im Laufe der Zeit wird deine verletzliche Seite vielleicht sogar immer mehr zu deiner starken und vertrauensvollen Seite. So verrückt es jetzt auch klingen mag. 

     

    1. Stahl, S. (2015). Das Kind in dir muss Heimat finden. Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme (26. Auflage). München: Kailash.[]