Dies ist ein zweiteiliger Artikel. Hier findest du den Link zu Teil 2: Was beeinflusst unsere Selbstwirksamkeitserwartungen?

    In unserem Leben müssen wir immer wieder bestimmte Aufgaben meistern, Herausforderungen bewältigen oder Neues erlernen. Jede:r geht damit anders um. Manche von uns fühlen sich im Angesicht solcher Aufgaben vielleicht eher wie ein “Fähnchen im Wind”. Sie haben das Gefühl, von einer schwierigen Situation in die nächste geweht zu werden, ohne einen Einfluss darauf zu haben, was in ihrem Leben gerade passiert. Oft fühlen sie sich macht- und hilflos. Andere hingegen sehen sich eher als “Zugvögel”, denen schlechtes Wetter oder ein Umschwung des Windes nichts ausmachen. Sie können ihre Ziele weiterverfolgen, auch wenn Hindernisse aufkommen. Genauso wie ein Zugvogel instinktiv auf seiner Flugbahn bleibt, lassen auch sie sich nicht so leicht von ihrem Weg abbringen.  

    Man würde in der Psychologie davon sprechen, dass die “Zugvögel” sich sicher sind, über eine hohe Selbstwirksamkeit zu verfügen. Sie haben also eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung (SWE). Im Gegensatz zu den “Fähnchen” sind sie der Überzeugung, neue oder schwierige Anforderungen aufgrund der eigenen Fähigkeiten erfolgreich bewältigen zu können. 1Sie an ihre eigenen Kompetenzen und Ressourcen. 

    Die SWE hat viele Überscheidungen mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen, wie z. B. dem generellen Selbstbewusstsein oder dem Optimismus einer Person. Häufig ist es so, dass eine selbstbewusste Person auch über eine hohe SWE verfügt und eher optimistisch auf ihr Leben blickt. Deswegen ist es manchmal schwer, diese Merkmale voneinander abzugrenzen. Zusätzlich werden häufig unterschiedliche Bezeichnungen verwendet. So wird auch oft von Selbstwirksamkeit, von der Kompetenzeinschätzung oder der optimistischen Selbstüberzeugung gesprochen. Gemeint ist aber immer dasselbe.2 

    Die SWE einer Person lässt sich in ihrer Ausprägung unterscheiden. Wenn sie hoch ist, gibt eine Person selbst nach mehreren Misserfolgen nicht auf. Sie hält weiterhin an dem Glauben fest, die schwierige Situation bewältigen zu können. Auf der anderen Seite ist die SWE niedrig, wenn die Person entweder erst gar nicht in Aktion tritt oder sie bei der ersten Schwierigkeit das Handtuch wirft, weil sie nicht daran glaubt, es schaffen zu können. 

    Zusätzlich unterscheidet man zwischen spezifischer und allgemeiner SWE. Spezifisch sind SWE, wenn sie sich auf bestimmte Situationen beziehen. Zum Beispiel: Man glaubt an seine Fähigkeit, mit dem Rauchen aufhören zu können – auch wenn man Zigaretten angeboten bekommt oder sich in einer Umgebung befindet, in der alle anderen auch rauchen. Die allgemeine SWE hingegen umfasst viele Lebensbereiche. Man vertritt die Ansicht, dass man sein Leben mit allem, was so kommt, bewältigen kann. 3Eine Person mit hoher allgemeiner SWE denkt z. B.: “Zukünftigen Herausforderungen sehe ich gelassen entgegen, weil ich auf meine Fähigkeiten vertraue”. Die SWE steht in positiver Verbindung zu anderen Merkmalen wie Optimismus, Selbstwertgefühl, Kontrollbewusstsein und Leistungsmotivation. Zwar ist die SWE einer Person ziemlich stabil, aber keineswegs unveränderlich. 4 

    Wie du dir vielleicht bereits vorstellen kannst, haben unsere SWE einen großen Einfluss darauf, wie wir unser Leben meistern und wie gut es uns dabei geht. Personen mit hoher SWE sehen Schwierigkeiten eher als Herausforderungen, setzen sich höhere Ziele und verfolgen diese mit mehr Ausdauer und Anstrengung. 2Des Weiteren sind sie oft kreativer, wenn es darum geht, Anforderungen zu meistern. Daher sind diese Personen meist erfolgreicher im Schul- und Arbeitsleben, sowie besser sozial integriert. Eine hohe allgemeine SWE wirkt sich zusätzlich auf die allgemeine Lebenszufriedenheit einer Person aus. 3  

    Anders ist das bei Personen mit einer niedrigen SWE: Sie trauen sich weniger zu und probieren weniger Neues. Sie lassen sich von Misserfolgen schnell entmutigen und geben eher auf. Auch ihr generelles Stresserleben (Link zu: Was ist Stress und was macht er mit mir?) ist erhöht. 5Wenn eine Person eine extrem niedrige SWE hat und  überhaupt nicht daran glaubt, dass sie selbst einen Einfluss auf etwas hat und ihre Umwelt als zufällig und unkontrollierbar wahrnimmt, spricht man von erlernter Hilflosigkeit. Die Symptome davon gleich denen einer Depression – man fühlt sich antriebslos und verfällt in Passivität. So können sie keine neuen Erfolgserlebnisse sammeln – ein Teufelskreis entsteht. 6  

    Menschen mit hoher und niedriger SWE unterscheiden sich darin, wie sie Erlebnisse wahrnehmen und verarbeiten. Personen mit niedriger SWE sehen Erfolge eher als Zufälle an und schreiben Misserfolge ihrer eigenen “Unfähigkeit” zu. Sie gewichten negative äußere Beurteilungen und Misserfolge stärker. Personen mit hoher SWE sind unabhängiger von der Meinung anderer. 3Oft entsteht ein negativer Kreislauf, bei dem durch die starke Gewichtung von Misserfolgen die eigene SWE beeinflusst wird: das Stresserleben ist erhöht, die Erfolgsaussichten sinken und ein weiterer Misserfolg ist so oft vorprogrammiert. Das nennt man in der Psychologie selbsterfüllende Prophezeiung.

    Solche Kreisläufe zu erkennen, ist der erste Schritt, sie zu durchbrechen. Wie bereits erwähnt, ist die SWE “nicht in Stein gemeißelt”.

     

    1. Schwarzer, R., & Jerusalem, M. (2002). Das Konzept der Selbstwirksamkeit. ZEITSCHRIFT FUR PÄDAGOGIK, 44, 28-53.[]
    2. Egger, J. W. (2019). Selbstwirksamkeitserwartung– ein bedeutsames kognitives Konstrukt für gesundheitliches Verhalten. ResearchGate, 43-58[][]
    3. Schwarzer, R., & Jerusalem, M. (2002). Das Konzept der Selbstwirksamkeit. ZEITSCHRIFT FÜR PÄDAGOGIK, 44, 28-53.[][][]
    4. Schwarzer, R. (1994). Optimistische Kompetenzerwartung: Zur Erfassung einer personellen Bewältigungsressource, Diagnostica, 1994, 40 (2), S.105-123[]
    5. Jerusalem, M. (1990). Persönliche Ressourcen, Vulnerabilität und Stresserleben. Göttingen. Verlag für Psychologie, Hogrefe.[]
    6. Ruholl, S., & Schneider, F. (2007). Selbstwirksamkeit als Indikator für psychische Störungen: Status und Verlauf (No. RWTH-CONV-124264). Lehrstuhl für Psychosomatik und Psychotherapie.[]