Sport ist für viele Kinder und Jugendliche eine wichtige Freizeitbeschäftigung, die darüber hinaus zu einer gesunden Entwicklung beiträgt. Er fördert die Persönlichkeitsentwicklung, die Fitness, das Sozialverhalten, aber auch geistige und emotionale Fähigkeiten. Daher wird der Sport insgesamt als Ressource gesehen und mit vielen positiven Gedanken und Gefühlen verbunden. Dies ist nur einer der möglichen Gründe dafür, dass bis vor einigen Jahren nur sehr selten von Missbrauch im Sport berichtet oder gesprochen wurde. Darüber hinaus ist sexueller Missbrauch immer noch ein Tabu-Thema. Im Kontext des Sportes wird meist nur über sportliche Erfolge gesprochen und es wird vermieden, über Misserfolge zu sprechen. Dazu gehört im Bereich des Leistungssportes auch das Ignorieren von Schmerzen und die Disziplinierung des Körpers. Letzteres trägt nicht unerheblich dazu bei, dass Betroffene nicht über ihre negative Erfahrungen reden. 1 In den letzten Jahren liest man in den Medien jedoch immer wieder von Missbrauch im Kontext von Leistungssport, aber auch im Vereinssport. Was darüber bekannt ist, erfährst du in diesem Artikel.

    In pädagogischen Einrichtungen findet immer wieder ein Machtmissbrauch von Erwachsenen gegenüber Kindern statt. Auch im Sport stellt sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen eine Art des Machtmissbrauchs dar. Wenn du mehr über die Häufigkeiten, Arten und Folgen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen erfahren möchtest, schaue in unserer Infothek nach.

    In einem Forschungsprojekt mit dem Titel „Safe Sport“ wurde ermittelt, dass im Bereich des Leistungssportes fast jede zweite Sportlerin und knapp jeder vierte Sportler schon mindestens einmal von sexualisierter Gewalt betroffen war. Dabei berichtete fast jede:r dritte Befragte von körperlicher Gewalt, mehr als jede:r Dritte von sexualisierter Gewalt und fast 9 von 10 Sportler:innen von psychischen Gewalterfahrungen. Die Täter:innen von sexualisierter Gewalt sind dabei auch im Sport überwiegend männlich und die Opfer häufiger Mädchen als Jungen. 2

    Laut erster Ergebnisse einer deutschen Studie, die sich mit sexualisierter Grenzverletzung, Belästigung und Gewalt im Kontext des Vereinssport beschäftigt, gaben zwei Drittel der Befragten Sportler:innen an, mindestens einmal irgendeine dieser negativen Erfahrungen gemacht zu haben. Auch hier waren Frauen häufiger betroffen als Männer. Dabei erfuhren ungefähr drei von zehn Personen mindestens einmal sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen ohne Körperkontakt. Zwei von zehn Personen wurden gegen ihren Willen mindestens einmal Opfer von sexualisierten Grenzverletzungen oder Belästigungen mit Körperkontakt. Insgesamt berichteten die Hälfte der Befragten von emotionaler und körperlicher Gewalt, wobei das Risiko für solche negativen Erfahrungen mit steigendem Leistungsniveau zunimmt und im Leistungssport höher zu sein scheint, als im Freizeit- und Breitensport. Darüber hinaus sind Kinder und Jugendliche, die im Kontext des Sportes von Missbrauch betroffen sind, häufig auch im privaten Umfeld betroffen. Knapp die Hälfte der Betroffenen schweigt über die Erfahrungen und informiert die Vereine und Verbände darüber nicht. 3

    Wie Kinder und Jugendliche beim Sport zu Betroffenen von sexualisierter Gewalt werden, ist sehr individuell. Dennoch konnten verschiedene Muster entdeckt werden, die eine solche Erfahrung begünstigen. Die Beziehungen im sportlichen Umfeld können oft familienähnlich und von starkem Vertrauen und Loyalität gekennzeichnet sein. Hier ist es – ähnlich wie bei einem Missbrauch in der Familie – für Betroffene schwer einzuschätzen, wann eine Person zu weit geht. Zudem trauen sich Kinder oder Jugendliche häufig nicht, mit ihren Familien darüber zu sprechen, wenn diese im selben Verein oder in einem familienähnlichen Verhältnis zu dem oder der Täter:in stehen. Auch, wenn Kinder und Jugendliche in Heimen oder Internaten wohnen, steigt das Risiko, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden. Diese Strukturen findet man häufig im Leistungssport wieder. Auch ein starker Erfolgsdruck, Disziplinierung und enge Abhängigkeitsverhältnisse erhöhen das Risiko für sexualisierte Gewalt. Darüber hinaus herrschen in vielen Sportarten ungleiche Geschlechterverhältnisse – Mädchen werden häufig von Männern trainiert und selten von Frauen. Außerdem führt ein stereotypes Männerbild dazu, dass sich Mädchen und Frauen häufig den Strukturen fügen und damit einem erhöhten Risiko von sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. 1

    Glücklicherweise ändert sich gerade in Deutschland die Wahrnehmung und der Umgang mit Missbrauch im Sport. Dies wird durch aktuelle Forschungs- und Präventionsprojekte sichtbar. Die Dachverbände und einzelnen Landesverbände unterstützen diese Entwicklungen und es gibt immer mehr unabhängige Beratungsstellen mit dem Namen      „Safe Sport“. Trotzdem bleibt noch viel zu tun! 4

    Falls du von Missbrauch im Sport betroffen bist, gibt es unter 0800 22 55 530 eine kostenfreie und anonyme Telefon-Beratung oder unter www.hilfe-portal-missbrauch.de
    weitere online und offline Beratungsangebote.

    1. Rulofs, B. (2021). Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt im Sport – Ursachen und Entstehungsbedingungen aus Perspektive der Betroffenen. In N. Neuber (Hrsg.), Kinder- und Jugendsportforschung in Deutschland – Bilanz und Perspektive (Bd. 26, S. 203–224). Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.[][]
    2. Ohlert, J., Vertommen, T., Rulofs, B., Rau, T. & Allroggen, M. (2020). Elite athletes’ experiences of interpersonal violence in organised sport in Germany, the Netherlands, and Belgium. European Journal of Sport Science. Zugriff am 29.11.2022. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1080/17461391.2020.1781266[]
    3. Rulofs, B., Allroggen, M. & Rau, T. (Hrsg.). (2021). Forschungsprojekt SicherImSport: Sexualisierte Grenzverletzungen, Belästigung und Gewalt im organisierten Sport – Häufigkeiten und Formen sowie Status Quo der Prävention und Intervention. Factsheet zum Abschluss der Datenerhebungen / Zwischenauswertung. Zugriff am 29.11.2022. Verfügbar unter: https://www.ndr.de/sport/missbrauch2362.pdf[]
    4. Deutscher Bundestag – Sportausschuss: Stellungnahme zum Thema „Physische, psychische oder sexualisierte Gewalt gegen Sportlerinnen und Sportler“: https://www.bundestag.de/resource/blob/838334/4b3f6663596c4bd8b777a70e63ac56d0/20210505-Stellungnahme-Prof-Rulofs-data.pdf[]