In der Kategorie “Ganz direkt” spricht dich unsere Sozialpädagogin und Coach Simone persönlich an. Hierbei möchte sie dich in erster Linie zum Nachdenken anregen und nicht vorrangig wissenschaftliche Erkenntnisse darstellen. Sie stützt sich hierbei auf ihre Praxiserfahrung.

    Als du geboren wurdest, warst du sofort Teil des typischen Dreiecks: Vater, Mutter, Kind. Keiner hat dich gefragt, welche Eltern du am liebsten hättest. Man könnte es Schicksal oder Überraschung nennen, wo genau auf der Welt du in welche Familie oder Lebensgemeinschaft hineingeboren wurdest und was dich dort schließlich erwarten würde.

    Als Baby hattest du keinerlei Erwartungen. Welche Mutter auch immer dich in den Arm genommen hat: du hast sie angestrahlt und sie dich. Das nennt man Mutter-Kind-Bindung – und es funktioniert fast immer. Dafür hat die Natur grundsätzlich gesorgt. Nüchtern formuliert ist Bindungsverhalten, wie die Suche von Augenkontakt, Lächeln und Kuscheln, ein starker Instinkt, der zur Arterhaltung dient. Gleichzeitig fühlt es sich auch noch super an.

    Wenn alles gut gelaufen ist, hattest du also als Baby eine Mutter, die immer in deiner Nähe war, die deine Bedürfnisse gespürt und befriedigt hat und einen Vater, der sich riesig über dich gefreut und deine Mutter unterstützt hat. Im besten Fall waren deine Eltern entspannt und konnten, auch wenn du eine Herausforderung für sie warst, liebevoll mit dir umgehen: dich füttern, die Windeln wechseln, mit dir spielen, herumtoben, scherzen, dir eine schöne Gute-Nacht-Geschichte erzählen, dich trösten, verarzten – was auch immer gerade anstand. Im besten Fall warst du, eventuell zusammen mit deinen Geschwistern, das Wichtigste für sie. Wenn alles super lief, dann konnten dir deine Eltern so viel positive Aufmerksamkeit schenken, wie du brauchtest, um Zufriedenheit mit dir selbst zu entwickeln. Das heißt, dass du dich heute für wichtig und liebenswert hältst und weißt, dass du so, wie du bist, vollkommen in Ordnung bist. Man könnte auch sagen, dass du Urvertrauen entwickelt hast. Soweit der Idealzustand. Ähm. Ja. Idealzustände haben es aber an sich, dass sie selten so ideal sind, wie man sie sich wünscht. In der Realität existieren sie so gut wie nie.

    Auch wenn die Natur grundsätzlich dafür gesorgt hat, dass man sich liebevoll aneinander bindet, kann dabei so einiges schiefgehen. Manchmal kann genau das, was sich eigentlich gut anfühlen sollte, für alle Beteiligten zu einer einzigen Katastrophe werden und du kannst deshalb genau das nicht richtig entwickeln, was so wichtig für nährende Kontakte ist: Urvertrauen. Dennoch sollte es kein Grund sein, Beziehungen zu meiden, wenn du in deiner Kindheit einen schlechten Start mit deinen Eltern oder anderen sehr nahen Bezugspersonen hattest und dein Vertrauen deshalb erschüttert ist. Das, was du von jeher schon mitgebracht hast – diese Begabung, mit Menschen liebevolle Kontakte zu knüpfen und zu genießen –  bleibt immer in dir als unzerstörbare Ressource oder Kraftquelle vorhanden. Das ist sozusagen einfach deine Natur. Auch, wenn du immer wieder das Gefühl hast, dass in deinen Beziehungen alles schief läuft, was schief laufen kann – und auch, wenn dir selbst nicht ganz klar ist, ob du es bist, der oder die nicht richtig tickt, oder die anderen: Es ist immer möglich, das, was in deiner Kindheit daneben ging, soweit zu klären, dass du quasi nochmal von vorn beginnen, oder besser gesagt, anders weiter machen kannst. Wie schrieb  eine meiner Lieblingsautorinnen, Stefanie Stahl, so schön: „Jeder ist beziehungsfähig.“

    Es gibt tatsächlich sehr viele Menschen, die dieses schmerzhafte Paradox erleben, dass sie lieben wollen, aber sich nicht einlassen können. Dass sie sich nach Liebe sehnen, aber sie nicht annehmen oder in einer glücklichen Partnerschaft erleben können. Nicht immer, aber doch sehr oft, können diese Menschen eine klare Verbindung zum Ursprung dieses Dilemmas in der stark prägenden Mutter-Kind- oder Vater-Kind-Beziehung herstellen. Manchmal spielen auch Großeltern, Geschwister oder andere Verwandte diese negativ prägende Rolle für uns. Je jünger und abhängiger wir waren, desto machtvoller sind auch die Wirkungen dieser ersten Bindungen. Manche Menschen erleben diese alten Erfahrungen (von Unverständnis, Ablehnung, Kränkung, Demütigung, emotionaler und körperlicher Gewalt, Vernachlässigung oder Verrat) in späteren Beziehungen wieder und wieder – wie eine Endlosschleife, in der sie sich gefangen fühlen.

    Wir können tatsächlich auch dann erst etwas dagegen tun, wenn uns klar ist, warum wir uns  einem bestimmten Beziehungsmuster entsprechend verhalten, das uns immer wieder in die Sackgasse führt. Ab da, wo wir unsere alten negativen Trigger oder Schlüsselreize erkennen und den programmhaften Ablauf der dadurch ausgelösten Gedanken und Gefühle durchschauen, können wir bewusster mit ihnen umgehen. Wir können einen Schritt zurücktreten, die schwierige Situation von außen betrachten und somit die alten emotionalen Reaktions-Ketten durchbrechen. Wie schon anfangs gesagt, ist es unsere Natur, uns positiv und vertrauensvoll an Menschen zu binden, die wir mögen. Wenn der Weg dafür freigeräumt ist, können wir – statt ängstlich und voller Misstrauen – wieder offen und neugierig in die Augen unserer Mitmenschen schauen, die das Gleiche wollen wie wir selbst: liebevolle Kontakte und glückliche Beziehungen. Und dann können wir auch gute Eltern sein.