Als Kind hat Sabine emotionale und körperliche Gewalt erfahren müssen. Nach jahrelangem Testen von verschiedenen Aufarbeitungsmöglichkeiten und viele Fachbücher später, teilt sie nun ihr Wissen mit Organisationen, die im Bereich belastende Kindheitserfahrungen tätig sind. Wir haben mit ihr vor allem über Strategien zur Traumabewältigung gesprochen.   

     

    Welche Aspekte an belastenden Kindheitserfahrungen sind für Dich am prägendsten gewesen?   

    „Ich bin dumm“, „Ich bin nichts wert“ und “Die Welt ist gefährlich”, das ist die Welt, in der meine Eltern leben. Diese Glaubenssätze haben meine Kindheit begleitet und sich häufig als selbsterfüllende Prophezeiungen gezeigt. Beispielsweise glaubte ich „mich mag keiner“, deshalb war ich zu meinen Mitschülern distanziert und wurde somit zum idealen Mobbingopfer. Situationen wie diese löste bei mir ein emotionales Trauma aus.  

    Die zwei prägendsten Erkenntnisse aus meiner Kindheit waren zum einen, dass von Generation zu Generation ein emotionales Trauma weitergegeben wird, das nennt man Transgenerationale Traumatisierung. Somit haben meine Eltern in ihrer Kindheit erlitten was ich durchleben musste, haben es bisher allerdings nicht geschafft, es zu verarbeiten und gaben es mir somit unbeabsichtigt weiter. So wissen sie beispielweise nicht, wie man andere tröstet oder  Zuneigung ausdrückt. Diese Erkenntnis motivierte mich, den Kreis zu durchbrechen und mein emotionales Trauma aufzuarbeiten. 

    Zum anderen habe ich gelernt, dass die Stärke der Trauma Auswirkung vom Umfeld des Betroffenen abhängt. Positive soziale Kontakte haben mich aufgefangen und mir bei der Verarbeitung geholfen. 

    Mir ist es ein Anliegen, darauf aufmerksam zu machen, wie sehr auch rein emotionale Gewalt das Leben beeinträchtigt und wie wertvoll und befreiend die Aufarbeitung ist.  

    Welche Folgen haben Dich bis ins Erwachsenenalter begleitet?  

    Wenn man unter chronischem Dauerstress leidet, kann das körperliche Auswirkungen haben, bei mir haben sich beispielsweise zwei Autoimmunkrankheiten entwickelt. In meinem Alltag belasten mich die psychischen und physischen Auswirkungen sehr stark. Ich habe immer noch emotionale Flashbacks und Albträume. Nach meiner emotionalen Traumatisierung in der Kindheit erlitt ich im Beruf eine Retraumatisierung. Das bezeichnet das erneute Durchleben eines Traumas in Verbindung zu langanhaltender Verschlechterung der Symptome und wird hervorgerufen durch eine wiederholte Erfahrung oder einen Trigger, wie eine bestimmte Schlagzeile in den Nachrichten. 

    Während ich über die transgenerationale Traumatisierung reden kann, ist mir dies bei der Retraumatisierung kaum möglich bzw. hochbelastend. Alltagsstress, der für andere nervig ist, kann bei mir Panikattacken auslösen, weshalb ich nicht mehr in der Lage bin einen normalen Job anzunehmen. Stattdessen engagiere ich mich nun ehrenamtlich und helfe Vereinen wie GMBK bei ihrer Arbeit.  

    Was war Dein Weg, um mit den Folgen umzugehen welche Anregungen hast Du für jemanden in ähnlicher Lage?  

    Als Kind war meine “Bezugsperson” mein Teddybär. Später habe ich die Fachbücher von Pete Walker, Judith Hermann und Co. verschlungen. Mit meinem erlesenen Fachwissen zu Psychotraumatologie führte ich künftig interessante Gespräche mit meinem Therapeuten. Mittlerweile kann ich vieles sozialrechtlich beurteilen und engagiere mich dafür, dass sich in Deutschland die rechtliche Situation und Aufklärung für Betroffene verbessert. Um auf Gespräche mit Behörden vorbereitet zu sein und für sein Recht einstehen zu können, kann ich Betroffenen nur zu rechtlicher Unterstützung raten. 

    Die Fachbücher von führenden Psychotraumatologie-Experten haben mir zudem gezeigt, dass es Menschen gibt, die sich für das Thema interessieren und einsetzen. Das hat mir Hoffnung geschenkt. 

    Meine Kraft zur Aufarbeitung meine Traumata kommt vor allem von Innen und ich freue mich über meine Freunde, die mich dabei unterstützen. Mittlerweile habe ich ein stabiles soziales Netzwerk aufgebaut, was ich auch nur allen Betroffenen ans Herz legen kann. 

    Im Alltag helfen mir Beschäftigungen, bei denen das Gehirn sich auf eine bestimmte Aufgabe fokussieren kann, beispielsweise beim Puzzeln, bei Computerspielen oder Smart Games. Im Umgang mit Dauerstress und Flashbacks hat bei mir besonders der Sport für Linderung gesorgt. 

    Zu meiner ehrenamtlichen Arbeit erfüllt mich der Gedanke, zu etwas Sinnstiftendem zu gehören.  Leuten zu helfen und den Weg zur Aufarbeitung für andere Betroffener einfacher zu machen, ist dabei natürlich auch eine unglaubliche Motivationsquelle. Die Arbeit in Vereinen oder anderen sozialen Bereichen, wie dem Tierheim, ist dabei meist willkommen und wertgeschätzt. Ehrenamtliche Arbeit ist übrigens auch während einer Krankschreibung möglich, wenn diese den Heilungsprozess unterstützt. 

    Was Betroffenen schlussendlich bei der Aufarbeitung hilft, ist sehr individuell. Ich kann nur empfehlen verschiedene Sachen auszuprobieren und immer darauf zu achten, wie es einem bei den verschiedenen Aktivitäten geht.   

    Allgemein ist es allerdings empfehlenswert einen Psychiater zu haben. Er ist beispielsweise befugt Anträge für Medikamente zu stellen oder Soziotherapie zu verordnen. Bei der Suche eines Psychiaters kann es hilfreich sein, bei Mehreren ein Erstgespräch zu vereinbaren, um danach zu entscheiden, welcher zwischenmenschlich am besten zu einem passt. Auf keinen Fall solltest du dich während der Sitzung unwohl fühlen oder zu irgendetwas gedrängt werden. 

    Welche Anregungen hast Du für Vertrauenspersonen von Betroffenen?  

    Meiner Meinung nach ist es fundamental, Empathie zu haben, ehrliches Interesse zu zeigen und zuzuhören. Tabus sind es beispielsweise Vorwürfe zu machen, Opferblaming zu betreiben oder Sätze wie „Das wird wieder“ zu sagen. Stattdessen biete lieber an zu helfen und zuzuhören, sobald die Person bereit ist. Um praktisch etwas zu tun, kann man sich beispielsweise mit der rechtlichen Seite beschäftigen und zum „Fachexperten“ werden.