Liebe Leser:innen,   

    das Thema belastende Kindheitserfahrungen rückt immer mehr in das Bewusstsein unserer Gesellschaft. Unser Wissen dazu wird mit Hilfe von Forschung stetig erweitert und verbessert damit die Behandlungsmöglichkeiten. Die Thematik hat auch in den UN-Nachhaltigkeitszielen für 2030 unter dem Ziel 16 zu Gerechtigkeit einen Platz gefunden. 

    In diesem Interview wollen wir Dir eine Person vorstellen, die seit über 30 Jahren auf dem Gebiet begeistert forscht und behandelt. Dafür wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Wir reden heute mit Prof. Dr. med. Jörg Fegert. 

    Hier ist der Link zur Video-Aufzeichnung auf YouTube. 

    All diejenigen, die es eilig haben, finden folgend eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte. Die Auflistung entspricht nicht der chronologischen, sondern der inhaltlichen Zuteilung.  

    Frage 1: Was motivierte Sie das Thema belastende Kindheitserfahrungen zu erforschen?    

    • Dr. Fegert hatte eine schöne Kindheit, sein Ansporn bei der täglichen Arbeit ist es davon anderen etwas abzugeben. Sein Ziel ist es Menschen dabei zu unterstützen an ihren Belastungen zu wachsen. 
    • Noch heute ist er begeistert von der Vielfältigkeit der kindlichen Entwicklung und der Möglichkeit etwas zu bewirken. Es ist für ihn ein sehr zentrales Thema, da es dabei um die nächste Generation geht, unsere Zukunft
    • Bis heute fasziniert ihn die Stärke und Dynamik, die in einem Kind steckt. 
    • Sein Fokus als praktizierender Kinder- und Jugendpsychotherapeut lag und liegt auf dem Kinderschutz. Seine Motivation Forscher zu werden stammt unter anderem von der Neugierde den Zusammenhang zwischen belastenden Kindheitserfahrungen und psychischen Krankheiten zu verstehen und damit die Behandlungsmöglichkeiten zu verbessern. 

    Frage 2: Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus mehr als 30 Jahren Forschung?  

    • In den 30 Jahren hat sich das gesellschaftliche Verständnis von belastenden Kindheitserfahrungen fundamental verändert. In seinen Worten ausgedrückt: „Ich habe trotz dieser Thematik Karriere gemacht, heute kann man mit dem Thema eine Karriere machen.“  
    • Die Forschung hat gezeigt, dass es wichtig ist neben den einzelnen Kategorien der belastenden Kindheitserfahrungen wie beispielsweise körperlicher Missbrauch, deren Kombination zu erforschen, weil Betroffene damit am meisten zu kämpfen haben. 
    • Es gibt auch bei diesem Thema zwei Seiten der Medaille. Die Seite, über die man häufig spricht, ist das erhöhte Risiko für Krankheiten, etc. Die andere Seite bilden die vielen Menschen, die trotz der Belastung ein gutes Leben führen und ihre Belastungen nicht an die nächste Generation weiterzugeben. 
    • Das Schöne ist auch, dass viele Maßnahmen durch Betroffenenbeteiligung erstritten werden konnten. Betroffene wissen am besten was ihnen gut tut. Durch diese Partizipation können wir mittlerweile bessere Traumatherapien und spezifischere Hilfsangebote anbieten. 
    • Eine praktische Veränderung ist die Blickerweiterung von UNICEF. Sie sprechen sich seit langem gegen sexuelle Gewalt aus. Seit letztem Jahr betonen sie nun auch die Wichtigkeit der psychischen Gesundheit. Den Bericht von UNICEF zu der Thematik findest du unter der Überschrift „On my mind“

    Frage 3: Welchen Einfluss hat die Pandemie Menschen mit belastenden Kindheitserfahrungen?

    • Menschen, die mit ihrer Belastung eigentlich gut klar kommen haben unter einer solchen weiteren Belastung, mehr Probleme und brauchen bei der Bewältigung mehr soziale Unterstützung als Menschen ohne Belastung. 
    • Man konnte in Studien auch feststellen, dass Angst und Depression in der Bevölkerung angestiegen sind. 
    • Gruppenzusammenhalt ist etwas was täglich generiert wird. Wenn das systematisch unterbrochen wird, ist es besonders für belastete Kinder schwer sich in der Gruppe wieder einzufinden. Die Mithilfe der anderen Kinder kann hier zu einer besseren Inklusion führen. 

    Frage 5: Wie sollte die Thematik Ihrer Meinung im öffentlichen Diskurs behandelt werden?   

    • Das zentrale Ziel sollte es sein das Gesamtverständnis zu stärken, um die Stigmatisierungen der Betroffenen zu minimieren. 
    • Die Politik sollte von ihrer Einstellung Equality, jeden gleich zu behandeln den Fokus auf Equity, jeder bekommt was er braucht, um das Gleiche zu erreichen zu lenken. 
    • Im öffentlichen Diskurs ist es schwierig zu vermitteln welche Auswirkung die Kombination von mehreren belastenden Kindheitserfahrungen im Unterschied zu einer Belastung hat. 
    • Zudem ist es schwierig an die Politik zu appellieren und Aufmerksamkeit zu bekommen ohne die Dramatisierung der Thematik, denn das fällt wieder auf die Betroffenen zurück. 
    • Für viele Betroffene ist es hilfreich zu wissen, dass psychische Bedingungen die Morphologie, also wie das Gehirn aussieht, sich verändern können. Was sich übrigens ein Leben lang verändern kann. 
    • In der Kommunikation zu Betroffenen ist es wichtig den Fokus auf ihr Potenzial zu lenken und ihnen zu helfen das auszuschöpfen.

      

    Wenn ihr irgendwelche Ideen für einen besseren öffentlichen Diskurs habt, dann schreibt das gerne in die Kommentare 🙂  

    Frage 6: Worin sehen Sie die Rolle und den Mehrwert von GMBK e. V.?   

    • GMBK stellt die Schnittstelle zwischen Experten und der Gesellschaft dar. 
    • Um das gesellschaftliche Verständnis des Themas zu erweitern, braucht es bürgerschaftliches Engagement.