In der Kategorie “Ganz direkt” spricht dich unsere Sozialpädagogin und Coach Simone persönlich an. Hierbei möchte sie dich in erster Linie zum Nachdenken anregen und nicht vorrangig wissenschaftliche Erkenntnisse darstellen. Sie stützt sich hierbei auf ihre Praxiserfahrung.

    Nein, hier kommt kein Persönlichkeitstest. Es geht vielmehr darum, dir selbst ein paar interessante Fragen dazu zu stellen, welche Gefühle bei dir auftauchen, wenn du in einer engen Beziehungen mit jemandem bist. In der Psychologie beschäftigt man sich schon länger damit, wie eine gesunde Bindung zwischen Eltern und Kind entsteht. Gleichzeitig wird dabei auch deutlich, was die Eltern-Kind-Beziehung belastet und welche Probleme daraus entstehen können. In deiner Kindheit prägte sich dein Bindungsstil durch verschiedene Bedingungen, denen du quasi ausgesetzt warst. Nicht jedes Kind erlebt dabei unter gleichen Bedingungen auch immer dasselbe. Was für dich wirklich schlimm war und was du trotz allem gut wegstecken konntest, ist ganz individuell. Dennoch gibt es grundlegende Bedingungen, die für eine glückliche Kindheit erfüllt sein müssen. Wenn du neugierig auf dich selbst geworden bist, dann geht´s für dich hier jetzt tiefer ins Thema:

    Normalerweise reagieren Eltern direkt mit Zuwendung darauf, wenn ihrem Kind etwas fehlt, wenn es weint oder schreit. Klammerst du dich als Baby an deine Mutter an, so erfüllt sie automatisch dein Bedürfnis nach Wärme, Nähe, Geborgenheit und Trost. Es sind Schlüsselreize, die sich die Natur ausgedacht hat, damit der Nachwuchs gut versorgt wird. Deine Mutter hat es quasi in ihren Genen, wie sie am besten auf dich als Kind reagiert, wenn du bestimmte Signale sendest. Allerdings läuft es trotzdem nicht immer so gut, wie die Natur sich das vorgestellt hat. Manche Eltern bringen große emotionale Belastungen mit, die die Beziehung zu ihrem Kind sehr schwierig machen können. So kann es sein, dass deine Bedürfnisse als Kind manchmal erfüllt wurden, aber oft auch nicht. Das wirkt sich dann auf dein Bindungsgefühl aus. Wenn die Bindung für dich als Kind sicher ist, deine Bedürfnisse sehr oft erfüllt werden, entwickelst du ein starkes Selbstwertgefühl. Du kannst später mit den eigenen Emotionen gut umgehen, wenn Mutter oder Vater auf deine kindliche Wut, Trauer oder Angst offen und verständnisvoll reagieren konnten. Warst du aber mit deinen Gefühlen alleine, dann hast du nicht gelernt, wie Gefühle sich auch wieder beruhigen lassen. So wurden deine Emotionen immer stärker verdrängt oder sogar ganz abgeschnitten, weil sie zu bedrohlich für dich waren. Dissoziation sagt man dazu, wenn man sich nicht mehr richtig spüren kann, wenn sich manches wie tot anfühlt, wenn alles weit weg erscheint oder du dich nicht mehr richtig erinnern kannst.
    In einer sicheren Bindung fühlst du dich stark und vertraust darauf, dass du die Welt um dich herum alleine erforschen kannst und dann auch wieder Schutz bei deinen Eltern oder anderen Bezugspersonen findest. In einer unsicheren Bindung traust du dich als Kind nicht richtig weg. Du weißt nicht, ob deine Eltern noch da sind, wenn du etwas selbst ausprobieren möchtest – ob du wieder freundlich empfangen wirst, oder aggressiv.
    Wenn du als Kind zu oft alleine warst, oder deine Eltern emotional oft abwesend waren, dann ist es wahrscheinlich für dich auch als Erwachsene:r schwierig, dich in einer engen Bindung wohlzufühlen. Du bist dann vielleicht sehr misstrauisch und distanziert. Oft versuchen wir unbewusst, uns unsere Unabhängigkeit zu bewahren. Wie ist das bei dir? Kennst du es, dass du allzu großer Nähe ausweichst? Fühlst du dich leicht überflutet von deinen eigenen Gefühlen und würdest dann am liebsten weglaufen? Dann frage dich einmal ganz neutral, wie deine Eltern sowohl mit ihren eigenen als auch deinen Gefühlen umgegangen sind. Haben sie einfühlsam auf dich reagiert, so dass du dich gesehen und sicher gefühlt hast? Haben sie oft oder manchmal überreagiert auf deine Probleme? Oder waren sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt, so dass du oft alleine warst mit deinen Ängsten und Nöten?

    Im Gegensatz dazu gibt es auch Eltern, die sich bei ihren Kindern anklammern und bei ihnen Trost und Nähe suchen. Dann erdrücken sie dich dadurch mit ihren eigenen Ängsten und Nöten – oder ihrem Schmerz. Als Kind bist du damit überfordert, weil du dich noch schwer gegenüber deinen Eltern abgrenzen kannst. Wieder eine andere Möglichkeit ist, dass der Erwartungs- oder Leistungsdruck an dich sehr hoch war. Auch das wirkt sich auf dein Bindungsgefühl aus und kann dich in späteren Beziehungen verunsichern.

    Vielleicht hast du die Beziehung zu deinen Eltern auch als sehr ambivalent erlebt: mal waren sie für dich da, dann aber wieder unerreichbar. Mal hast du vielleicht Aufmerksamkeit gekriegt und dann wurdest du wieder sehr alleine gelassen – oder du hast sogar Gewalt gegen dich erfahren. Wie erlebst du dich heute als Erwachsene:r selbst? Klammerst du dich stark an deinen Partner, deine Partnerin oder kannst du ihn oder sie auch gut mal gehen lassen?  Suchst du viel Anerkennung und Selbstbestätigung bei ihm oder ihr, weil da bei dir ein großes Loch geblieben ist?
    Wenn du dein eigenes Verhalten und deine Gefühle selbst nicht mehr verstehst, wenn du in Beziehungen sehr widersprüchlich bist und deine Stimmungen gegenüber dem anderen stark schwanken, dann liegt es oft daran, dass du etwas aus deiner Kindheit nicht richtig verarbeiten konntest. Es sind vielleicht zu viele Verletzungen und unerfüllte Bedürfnisse gewesen, denen du ausgesetzt warst, so dass an einer oder mehreren Stellen quasi die Sicherung bei dir rausgeflogen ist. Ein Notprogramm läuft vielleicht noch, aber wirkliche Freude in Beziehung – Sicherheit, Vertrauen, Geborgenheit, Glück – erlebst du gar nicht oder selten.
    Wir sind aber nun mal Beziehungs-Menschen. Wir brauchen Zuwendung, Verständnis, Nähe und Geborgenheit durch andere. Manche brauchen davon mehr und andere weniger, aber keiner fühlt sich in Einsamkeit über längere Zeit wirklich wohl. Menschen sind quasi Herdentiere.
    Wenn du in deiner Kindheit einen unsicheren Bindungs-Stil entwickelt hast, dann sehnst du dich danach, endlich Sicherheit zu fühlen: Selbstsicherheit aber auch Verlässlichkeit in deinen Beziehungen. Ich denke, du brauchst eine gute Brise Humor, um auch dann noch offen und neugierig zu bleiben, wenn Beziehungen bei dir öfter scheitern. Du weißt wahrscheinlich selbst: es wird nicht besser, wenn du die Schuld dafür bei dir oder den anderen suchst. Letztlich geht es auch nicht um Schuld, sondern es geht darum, dich selbst und andere verstehen zu lernen. Es geht natürlich auch nicht darum, etwas Schlimmes, was du vielleicht erlitten hast, zu verharmlosen oder die Verantwortung dafür bei dir zu suchen. Es geht darum, die alten unerfüllten Bedürfnisse ans Licht zu holen und dich um sie so liebevoll zu kümmern, wie sich gute Eltern um ihr Kind kümmern. Es geht darum, deinen alten Schmerz zu umarmen und dich selbst halten zu lernen. Je mehr du dabei zu dir selbst findest, umso mehr findest du auch den Weg zu anderen und zu erfüllenden Beziehungen.